FREITAG: Bewusstsein für Bad News

Heute schon Nachrichten geschaut oder gehört? Hoffentlich nicht. Denn das Ende des Tages sollten wir mit positiven Gedanken beschließen.

Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Das sagte der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein einmal, und in letzter Zeit muss ich immer wieder daran denken. Vor allem, wenn ich versuche, tagesaktuell am Ball zu bleiben. Normalerweise recherchiere ich für diese Zeilen hauptsächlich in meinem Inneren, dieses Woche ist das anders. Ich habe nämlich das Gefühl, dass es kaum eine Nachricht heutzutage gibt, in der das C-Wort unter den Tisch fällt.

Im Hauptsender hierzulande dreht sich tatsächlich jede einzelne Nachricht irgendwie um C. Über der Grenze ist es bei einem Sender halbe-halbe, in einem – ich glaube es kaum – völlig C-frei. Und plötzlich denke ich mir: „Die Welt dreht sich tatsächlich noch um etwas anderes.“ Und genau darauf wollte ich hinaus. Ich bin jetzt nicht so weltfremd, dass ich annehmen würde, dass die C-Scheisserchen nicht unser aller Leben irgendwie beeinflussen würden. Doch es stellt sich mir schon die Frage, wie hilfreich es sein kann, immer wieder daran erinnert zu werden. Das hat jetzt nichts mit Verdrängung zu tun, denn verdrängen kann das vermutlich nicht einmal ein Eremit, der völlig abgeschottet in seiner Klause sitzt. Entweder merkt er es daran, dass er keine Besucher mehr bekommt oder dass der Lebensmittellieferant eine Maske trägt. Selbst der Einsiedler muss es zur Kenntnis nehmen. Doch darum geht es nicht.

Wenn es tatsächlich so ist, wie Wittgenstein es sagt, nämlich dass unsere Sprache unsere Welt definiert, wäre es in meiner Welt höchste Zeit, dass wir nach einem Jahr Übergangszeit nun davon ausgehen, dass es künftig nur ein Leben mit den C-Scheisserchen geben wird. Sie werden nicht weggehen, wir werden nur damit leben lernen. Und das auf der ganzen Linie. Insofern wäre es meiner Ansicht nach an der Zeit, das auch sprachlich zu tun. Wir wissen längst, dass Miseren in den verschiedenen Bereichen eine Auswirkung der Viren-Invasion sind. Warum also in jeder einzelnen Nachricht noch einmal darauf hinweisen? Dass sich Menschen dagegen wehren, kann ich verstehen, auch wenn ich meine Spaziergänge lieber alleine durchführe als in Gruppen und auch jeder einschlägigen Demonstration fernbleibe.

Der Eindruck, der nämlich durch diese Sprachwelt entsteht, ist der: Es gibt nichts anderes mehr außer C. Doch das ist eine falsche Annahme. Es gibt den Frühling, der langsam anhebt. Was bringt er mit sich? Beispielsweise die Planung der Garten- oder Balkonbepflanzung. Oder die Überlegung, ob man sich nicht um einen Schrebergarten bemühen sollte. Oder sich einer Kooperative anschließen kann, die Gemeinschaftsgärten gestaltet. Es gibt auch Bewegung. Man kann spazieren gehen, ein Fitness-Studio in meiner Nähe stellt seine Geräte einfach ins Freie, wo die Menschen in angemessenem Abstand weiterhin trainieren können. Bei Regen kann man die Yogamatte ausrollen, auf der man seine Übungen machen kann – muss ja nicht immer der Sonnengruß sein. Planks sind dort auch möglich. Wer ein Rad besitzt, perfekt. Man kann sich geistig beschäftigen und lesen, was einem Freude macht – die Buchwelt ist ein unendlicher Pool von Themen jenseits von C. Bis wir das alles gelesen haben, wird auch die Pandemie vorbei sein. Und über das Gelesene könnte man sich sogar austauschen, in einer Whatsapp- oder Facebook-Gruppe, wo sogar Gesichter möglich sind.

Doch viele von uns stecken in diesem Nachrichtenkarussell fest. Wann gibt es für mich eine Impfung? Wie viele haben den Virus? Welche Regeln gelten aktuell? Was darf ich NICHT? Der Vater meiner Kinder sagt immer, er wolle seinen Geist nur mit positiven Dingen füttern. Weil uns das Negative nicht weiterbringt. Und ich muss ihm am Ende einer Diskussion, die sich darum dreht, dass man sich ja erst einmal mit einer Nachricht konfrontieren muss, um herauszufinden, ob sie positiv oder negativ ist, Recht geben. Bei den meisten Schlagzeilen weiß man schon im Vorhinein, wohin einen das ganze führen wird. Nämlich in ein schlechtes Gefühl. In Misstrauen. In Mangel. In Hilflosigkeit. Ich kenne niemanden, der gerne diese Empfindungen mit sich herum trägt. Sie?

Natürlich ist es schwer, wenn man an der Existenzgrenze kratzt, weil einem der Job abhanden gekommen ist. Ebenso, wenn man zuhause das Multitasking auf die Spitze treiben muss, weil Arbeit auf Abwaschen, Home-Trainer auf Home-Schooling trifft. Doch ich bin überzeugt, dass man auch hier die Möglichkeit hat, diese Situationen entweder kämpferisch oder sanft zu meistern. Wenn man sich des Gefühls der Hilflosigkeit entledigt. Das entsteht nämlich genau dann, wenn wir die Verantwortung für unser Leben nach draußen abgegeben haben. Und uns der Neudefinition, was Leben bedeutet, verwehren. Das Leben war immer schon ein Fluss, also Veränderung. Und auch wenn wir uns diese Veränderung gerne selbst ausgesucht hätten – was ja nicht passiert ist, sonst hätten wir es längst getan -, ist es eben jetzt unsere Verantwortung, das Beste aus dem rauszuholen, was möglich ist. Und was zuallererst möglich ist: sich auszusuchen, womit man seinen Geist beschäftigt. Probieren Sie einmal aus, wie es ist, einen einzigen Tag ohne Nachrichten auszukommen. Sie werden sehen, dass viel Zeit und Kreativität entsteht für Dinge, die uns Freude machen.


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