Bei einheimischen Spinnen bin ich relativ angstbefreit, die Urangst vor der Schlange habe ich auch abgelegt, doch wenn ich es surren höre, wird alles zum Drama.
In den vergangenen Jahren habe ich doch einigermaßen fundiert gelernt, wie ich so schnell wie möglich zu meiner Contenance zurück finde. Meditieren hilft, den Ameisen beim Melken der Blattläuse zuzusehen auch. Ein rascher Spaziergang zu rhythmischer Musik tut ebenfalls gut, wie Lachen, Schreiben und Gartenarbeit. Doch gerade letzteres ist momentan etwas mühsam, weil ich hier das Zufriedenheitsparadoxon erlebe. Das bedeutet: positive und negative Gefühle gleichzeitig wahrzunehmen. Das Graben, Umtopfen und Arrangieren der Beete ist etwas Wunderbares; dass mich dabei Stechmücken umschwirren, die gerade aus ihren Eipaketen auf der Oberfläche meines Teichs entkommen sind. Und hurrrrrrraaaaaa – da ist ja auch gleich eine Nährstoff-Lieferantin! Auch am See freuen sie sich schon auf mich, was zur Folge hat, dass ich selten ohne zusätzliche Polka Dots heimfahre. Es gibt ja in meiner Welt kaum ein ähnlich befriedigendes Gefühl als das Kratzen einer juckenden Hautstelle. Doch das ist tricky, weil es zwar kurzfristig Linderung verschafft, danach umso mehr juckt. Also lässt der vernunftsbegabte Mensch tunlichst vom Schaben ab und schmiert eine Salbe drauf. Die man genauso tunlichst immer dabei hat, weil es ja immer zum Jucken anfangen kann.
Und das ist bei mir eine Katze, die sich in den Schwanz beißt. Ärgere ich mich, juckt es mehr. Und juckt es, ärgere ich mich schneller. Da helfen dann weder Ameisen noch Meditationen, das Lachen vergeht und die Spaziergänge fallen aus, weil die Kleidung genau dort kratzt, wo der Stich ist. Meistens dauert es eine Weile, bis mir der Zusammenhang zwischen Ärger und Jucken klar wird. Und deshalb habe ich mich gestern über den Autor eines Zeitungsartikels geärgert, der die persönlichen Befindlichkeiten rund um seinen 50. Geburtstag beschrieben hat. Das Kribbeln hat begonnen, als er feststellte, dass für einen Mann in diesem Lebensabschnitt praktisch kaum mehr etwas passiert, weil alles meistens irgendwie läuft. Aus dem Kribbeln wurde Jucken bei der Textpassage, wo er darüber fabuliert, dass er für die neue Unbeweglichkeit in Geist und Körper dankbar ist. Zu kratzen begonnen habe ich mich, als ich „Das leicht Dödelige, nicht mehr ganz Frische, ein bisschen Langsame kommt gut“ lese. Auch seine These, dass man als Junggebliebener für einen jungen Menschen kein angenehmes und interessantes Gegenüber mehr ist, trägt nicht dazu bei, dass ich von dem Mückenstich ablasse. Von ihm habe ich auch das Wort „Zufriedenheitsparadoxon“ gelernt, das offenbar vor allem Männern um die 50 zugeschrieben wird.
Bevor es in meiner Kniekehle zu bluten begann, fiel mir auf, dass sich die Katze bereits seit geraumer Zeit leckt. Jetzt ist sie eine Schönheit, und da ist ausgiebige Pflege ein Muss. Doch 20 Minuten? Ich schaute um die Ecke meines Tisches und sah irgendwelche Flüssigkeitsspritzer auf dem Boden. Jetzt muss man wissen, dass sie sich vor einigen Tagen ziemlich verletzt hat und seither mit einer dicken Backe herumgelaufen ist. Essen fiel schwer, was zu der Erfahrung führte, dass man auch Trockenfutter pürieren kann, wenn man das Viech am Leben halten will. Irgendwann konnte sie wieder selbständig snacken, doch die Schwellung blieb. Die Neugierde trieb mich dann doch dazu, aufzustehen und diese Tropfen auf dem Parkett zu überprüfen. Und siehe da, die Katze hatte sich die halbe Wange selbst abgerissen, die offensichtlich voller Eiter gewesen war. Noch bevor ich sie loben konnte für ihre Tapferkeit, rannte sie vor mir und ihren Körperflüssigkeiten davon. Und da stellte ich fest: Es juckt nicht mehr.
Ich setzte mich wieder zu meinem Artikel und stellte fest, dass mir dieser Mann im Grunde leid tut. Weil er Sprachenlernen als lächerlich abtut, weil ihm zu Liebe nur „stille Genügsamkeit“ einfällt. Und weil ihm an die hunderte Momente in seinem Leben einfallen, die er lieber nicht erlebt hätte. Während meiner perimenopausalen Phase habe ich ein großartiges Buch gelesen, in dem die Autorin erklärt, dass Frauen dann wieder neu anfangen, wenn Männer langsam mit dem Leben abschließen. Und dass sich daraus die größten Konflikte in Partnerschaften ergeben.
Die finale Gelassenheit erreicht mich an dem Punkt, wo mir klar wird, dass dieser Mann mit meinem Lebens nichts zu tun hat. Und dass ich auch keine Männer wie ihn in meinem Leben habe, wahlweise brauche. Für mich ging es um die 50 erst los mit dem selbstbestimmten Leben, mit der Lust auf die Freiheit, mit der allumfassenden Liebe. Und die ist weder still noch genügsam, sondern offen, neugierig und voller Tatendrang. Deshalb gibt es jetzt auch das dritte „Voll Fünfzig“-Buch mit ausgewählten Beiträgen aus diesem Blog. Und es ist richtig dick, weil ich mit über 50 aus dem Vollen schöpfe. Ich bin dankbar für diesen Reichtum und denke nicht im Traum daran, leicht dödelig zu werden oder dem etwas Positives abzugewinnen. Juckt mich gar nicht.
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