FREITAG: Von der Prinzessin zur Königin

Ich bin ja ziemlich brainy, aber bei manchen Dingen bin ich einfach gestrickt. Zum Beispiel wenn es um den Kauf eines neuen Autos geht. Da gilt: reduced to the max. Also mein max.

Ein Auto muss für mich vor allem eines liefern: Betrieb. Es muss funktionieren, wenn ich es brauche, was ohnehin nicht oft vorkommt. Doch dann will ich keine Gedanken an alte Zündkerzen verschwenden und auch nicht jedes Mal ein Gebet gen Himmel schicken, dass mich die himmlische Obrigkeit heil von A nach B bringen möge. Einsteigen, starten, Musik anstellen und aufs Gas steigen. So und nicht anders möchte es die Autofahrprinzessin in mir.

Allerdings müssen selbst Prinzessinnen in der heutigen Zeit begreifen, dass das Wünschen helfen kann, allerdings nicht obligatorisch sein muss. Schon gar nicht, wenn es um ein Auto geht, das mehr aus Elektronik als Schraubteilen besteht. Und das Einsteigen, Starten, Musik anstellen und Gasgeben endenwollend ist, wenn eben diese Elektronik immer wieder rülpst. Da rutscht einer nämlich das Lied auf den Lippen in den Hals, wo es dann stecken bleibt. Und das ist für die Autofahrprinzessin alles andere als ein dauerhafter Zustand.

Also habe ich mich dazu durchgerungen, ein neues Auto zu kaufen. Und das möglichst bei der Werkstatt meines Vertrauens, weil es im Grunde immer um das Service geht. Das muss stimmen, das Auto kommt danach. Und ich habe bereits in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, wie leidenschaftlich in dieser Werkstatt Autos an den Mann und die Frau gebracht werden. Die lieben Autos richtig. Und heute durfte ich das auch wieder erfahren, denn das Leuchten in den Augen des zuständigen Verkäufers war unschwer zu übersehen. Als er mir von Tempomat und Sitzheizung, Fußgängerschutz und Sitzbezügen vorgeschwärmt hat.

Es ist wirklich immer eine Freude für mich, wenn ich Menschen begegne, die von ihrem Beruf begeistert sind. Denn es gibt für mich kaum Schlimmeres, als wenn sich Leute täglich acht Stunden durch eine Tätigkeit schleppen, die ihnen mitnichten entspricht. In diesem Sinne habe ich dem Verkäufer mit Wohlwollen zugehört, bevor ich ihm meine Meinung übermittelt habe. Dass mir unendlich langweilig werden würde, wenn ich die Geschwindigkeit meinem Auto überlassen würde. Dass ich ausreichend eigene Hitze besitze und deshalb die Sitzheizung vermutlich nie in Betrieb nehmen werde. Dass ich nicht die Absicht habe, einem Fußgänger so nahe zu kommen, dass er vor mir beschützt werden möchte. Dass mir die Bezüge solange egal sind, bis ich mir Augen am Allerwertesten angeschafft habe. Was kaum der Fall sein wird, weil meine Prioritäten ganz woanders liegen.

Wichtig an einem Auto sind für mich genau vier Dinge: die Farbe, elektrische Fensterheber, ein Aux-Anschluss für mein Musikhandy und ein Radio. Für alles andere möchte ich nicht bezahlen, doch das ist serienmäßig vorhanden. Und wird mich vermutlich in Versuchung führen, es irgendwann einmal doch zu benützen. Am ehesten bietet sich vermutlich die Sitzheizung an, sollte ich einen frühen Termin haben und mich vor sechs Uhr wintermorgens ins Auto schleppen müssen. Dabei wird mir schon die Farbe des neuen Autos die Seele wärmen. Sie heißt spring blue und ist genau das richtige für ein Frühlingskind wie mich. Aus Karmaviolett wird also frühlingsblau, aus einer latent verunsicherten Autofahrprinzessin hoffentlich bald wieder die Queen of the Road. Ich kann es kaum erwarten. Und das Gefährt wird sogar Platz für die zwei Hunde meines Partners haben. Doch das wird noch eine ganz eigene Geschichte.

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FREITAG: Drei Wünsche an die Fee

Meine Sonntage – falls ich sie als Selfcaring-Tage einhalten kann – bestehen ja zu einem gewissen Teil aus dem Hören von Podcasts. Eine wunderbare Erfindung! Man lernt viel, wird aber auch mit Dingen konfrontiert, die einen früher beschäftigt haben und die eigentlich bereits für ‚erledigt‘ gelten.

Am vergangenen Sonntag habe ich mir vorgenommen, nicht wie wild von einem Podcast zum anderen zu springen, sondern tatsächlich meine Gedanken zu einem einzigen festzuhalten. Den ersten habe ich im Halbschlaf im Bett gehört, weil ich seit neuestem beglückte Besitzerin eines tragbaren Internet-Radios bin. Das kann ich einschalten, auch wenn ich noch nicht ganz aufnahmefähig bin, weil ich weiß, dass mein Hirn trotzdem Information speichert. Der erste Podcast war an diesem Tag einer über Papst Franziskus, der mich zum zweiten führte, den ich allerdings tatsächlich nur mehr viertelbewusst wahrgenommen habe. Sonntage sind auch deshalb wunderbar, weil das Wegschlafen erlaubt ist und keine Programmpunkte mich aus dem Bett zwingen.

Außer Kaffeehunger. Und nachdem ich ihn gestillt und meine Morgenrituale ausgeführt hatte, bin ich zu dem Podcast zurückgekehrt, für den ich Minuten vorher noch zu schlafdamisch gewesen war. Der Titel: „Die Seele nach Corona.“ Jetzt bin ich ja der Meinung gewesen, dass das Thema für den Großteil der Menschheit durch ist, weil entweder selbst erfahren oder gelernt, vor- und umsichtig zu agieren. Dabei ist es immer noch sehr nahe. Sogar von der Verabschiedungsfeier meines Vaters sollen zwei Menschen weggegangen und mit Corona darnieder gelegen sein. Gute Besserung an dieser Stelle! Und ich mache ja auch die Erfahrung, dass man fast ein Alien ist, wenn man „es“ noch nicht gehabt hat. Ich kenne vier Menschen, denen es erspart geblieben ist, mich inklusive. Und klopfe dabei auf das Holz, das mich umgibt.

Doch in „Die Seele nach Corona“ lernte ich, dass es Menschen gibt, die sich immer noch mit dem Thema beschäftigen und es sogar Teil von Gerichtsverhandlungen ist. Weil vielerorts Fehler gemacht wurden, vor allem insofern, wie auf die Pandemie reagiert wurde. Mir war das schon relativ früh klar, dass es durchaus Alternativen zur allgemeine Panik gegeben hätte. Und ich habe mir ja damals auch mein ganz eigenes Regelwerk zusammengestrickt. Doch vorher war auch ich in einer dreiwöchigen Beobachtungsphase, um herauszufinden, was es mit allem dem auf sich hat. Und auch ich stellte mir die Fragen, warum die ganze Welt einheitlich reagierte. Warum fast alle Medien nahezu gleichgeschaltet berichteten. Warum Menschen die Verordnungen links liegen ließen, obwohl es um ihre ganz persönliche Freiheit ging.

Jetzt, wo nahezu alle von uns diese Freiheit im alten Stil wieder genießen können, sind wir also wieder in unserer Kraft und können endlich mit der Vergangenheit hadern. Schuld abschieben und dadurch vielleicht durch Geld etwas von unserem Selbstwert zurückgewinnen. Und uns dem Fortgang der Welt widersetzen. Käme eine Fee zu mir und würde drei Wünsche anbieten, einer davon wäre: Mögen Menschen endlich fähig werden, Verantwortung für ihr eigenes Tun zu übernehmen. Der zweite wäre: Zugeben, dass sie damals aus Angst gehandelt haben und sich Dinge anschaffen ließen, die sich kein normaler Mensch unter ebenso normalen Umständen hätte einreden lassen. Drittens: Sich darauf verlassen, dass das Universum gerecht ist. Als Einzelne oder Einzelner werden wir vielleicht nicht unmittelbar dabei sein, wenn diese Gerechtigkeit eintritt, aber sie ist unausbleiblich. gbgbö

Wenn Menschen nun also versuchen, das so empfundene, an ihnen begangene Unrecht einzuklagen, wünsche ich ihnen viel Glück dabei. Denn ich empfinde es als absolutes Glück, wenn sich alte Verhaltensweisen noch ein letztes Mal durchsetzen. Als ein letztes Aufbäumen quasi. Nachhaltige Sichtweisen werden sich nämlich a la longue durchsetzen, ob wir wollen oder nicht. Besser wir wollen.

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FREITAG: Commitment statt Kampf

Ich schreibe diese Zeilen am internationalen Frauentag. Und bei allem, was richtig gesagt wird und den Tatsachen entspricht, erlaube ich mir die Frage: Ist die Opfermentalität die richtige?

Am Weltfrauentag bewegen wir Frauen uns ja zwischen Veilchen und Verzweiflung. Alleine heute morgen hatte ich zehn Bilder auf meinem Smartphone, die durch Blumen auf den 8. März und damit unsere Existenz als Weiber aufmerksam gemacht haben. Eine Kollegin von mir hat auf Facebook geschrieben, dass sie es dick hat, dass die Blumenhändler, wahlweise Kosmetikinstitute oder Wellness-Hotels davon profitieren. Der Vergleich mit dem Valentins- und Muttertag liegt nahe. Ich mag Blumen, weshalb praktisch jeder Tag des Jahres für mich Weltfrauentag ist. Auf meinem Tisch befindet sich immer ein Strauß, nicht selten ein Geschenk an mich selbst. An mir verdient man also am heutigen Tag nichts. Bis ein Strauß meines Partners hier wäre, könnte ich ihn im besten Fall als Trockenblumenbouquet wertschätzen, macht also auch keinen Sinn. Viel mehr freue ich mich, wenn er mir ein zehnminütiges Video schickt, was bislang noch nie vorgekommen ist.

Wahlweise kommen natürlich auch Männerbilder durchs virtuelle Web, allesamt sehr jung, sehr nackt und sehr objektiviert. Jetzt könnte frau ja sagen, dass es höchste Zeit ist, dass nicht nur wir Weiber als Objekte betrachtet werden, sondern dass auch die Spezies Mann auf ihr Äußeres reduziert wird. Ich halte von der Aug-um-Aug-Theorie wenig. Sie hilft weder uns noch den anderen Geschlechtern. Doch manchmal habe ich das Gefühl, dass genau das gewünscht wird.

Besagte Kollegin hat weiter geschrieben, dass der heutige Tag eher ein Kampftag als ein Kuscheltag sein sollte. Und tatsächlich treffen sich weltweit heute Frauen, um gegen Missstände zu demonstrieren. Ja, wir Frauen müssen gesehen werden, je älter, desto mehr. Wenn wir uns verstecken, den Kopf einziehen und weiterhin in Beige auf den roten Teppich des Lebens treten, wird alles so bleiben, wie es ist. Und das sind traurige Aussichten.

Meine Aussicht ist eine andere. Nämlich jene, dass wir Frauen für uns eintreten, uns unterstützen und nicht – wie immer noch häufig zu beobachten – kannibalisieren. Im Radio habe ich heute morgen gehört, dass es allein in Deutschland 21 Millionen Frauen über 47 Jahren gibt. Das ist schon eine Macht. Wenn sich diese Millionen auf ihre Stärken konzentrieren würden, könnte sich viel bewegen. Und eine der Stärke von uns Frauen ist: Wir wissen immer einen Weg, weil wir vernetzt und um die Ecke denken können.

Weil ich davon überzeugt bin, dass wir diese Fähigkeit besitzen, verstehe ich es einfach nicht, warum Frauen immer noch gerne in die Opferrolle schlüpfen und auf den Prinzen in scheinender Rüstung warten. Der in diesem Fall durchaus auch ein großer wie der Staat oder das Gesetz sein kann. In dieser Diskussion muss ich häufig an einen Mann denken, der mir Fundraising für Tiere erklärt hat: „Menschen haben genug von gequälten Tieren. Sie spenden lieber für glückliche Tiere. Das muss man zeigen.“ Deshalb und aus eigener Erfahrung heraus weiß ich, dass Frauen, die sich ihrer weiblichen Energie bewusst sind, auch als solche wahrgenommen werden. Respektiert werden. In das große Machtganze eingegliedert werden. Von der amerikanischen Feministin Bell Hooks wird erzählt, dass sie Liebe durch Heilung propagiert hat. Wohlwollen ist eine große Kraft, die unglaublich verbindet. Auch die Geschlechter und Ungerechtigkeit. Denn diese entsteht vor allem deshalb, weil sich jemand nicht gesehen fühlt und deshalb mehr Wind um sich machen muss als ihm oder ihr im Speziellen und der Menschheit im Allgemeinen zuträglich ist. Siehe Krieg. Siehe Wirtschaft. Siehe Politik.

Am heutigen Weltfrauentag plädiere ich also dafür: Schauen wir doch genau hin. Vor allem wir Frauen auf uns selbst. Wo wir mehr in unsere Stärke, in unsere gute Energie kommen können. Wo wir Dinge mit uns machen lassen, die uns nicht dienen und warum das so ist. Wen wir aus unserem Stamm ins Tipi holen könnten, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Ich glaube fest an diese Kraft unter Frauen, die die Welt aus den Angeln heben kann. Sich als Opfer zu sehen, wird uns Frauen in keinster Weise gerecht. Wir können viel mehr.

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FREITAG: Liebe statt Prinzipien

Wie Sie vielleicht gemerkt haben, bin ich ein ziemlich zuverlässiger Mensch. Und wenn die Zuverlässigkeit Pause macht, steckt meistens Meteoriteneinschlag oder Tod dahinter. In der vergangenen Woche leider letzteres.

Mein Vater ist gegangen. Angeschlossen an Maschinentürme und einen Monitor mit Countdown. Acht Stunden habe ich auf diesen Monitor gestarrt, der mir minütlich gezeigt hat, dass ich absehbarer Zeit die Hand dieses Mannes loslassen werde müssen, der mich so maßgeblich geprägt hat. Über zehn verschiedene Medikamente, eine Nierenreinigung und Sauerstoff waren zu wenig, um seinen Blutdruck zu stabilisieren, seinen Herzschlag in akzeptable Höhen zu wuchten. Zwei versagende Systeme in einem Körper sind zu viel für einen Menschen, der sich aufgrund von Vorerkrankungen ohnehin zunehmend nutzlos gefühlt hat.

Während ich mich während dieser acht Stunden in sein Gesicht vertieft habe, war ich präsent wie selten zuvor in meinem Leben. Mein Kopf war nahezu leer, all mein Sein war fokussiert auf diese Hand, die ich gehalten und die mich gehalten hat. Gerne würde ich erzählen, welche Erlebnisse durch meinen Kopf gehuscht sind, was ich ihm noch sagen hätte wollen oder wie groß meine Trauer war, nachdem die Ärzte meine Mutter und mich auf sein Weggehen vorbereitet hatten. Doch da war nichts.

Keine der Reisen, die wir miteinander unternommen haben. Kein besonderes Gespräch, dessen Inhalt mir die Erinnerungen präsentiert hätten. Kein Geruch, kein Lied. Was allerdings im Übermaß vorhanden war: die Liebe. Als liefe sie auf unsichtbaren Bahnen zwischen ihm und mir hin und her, ungeachtet der Tatsache, dass das schwache Herz schwächer und schwächer wurde. Wenn ich ein paar Minuten die Intensivstation gegen Frischluft eintauschte, fühlte ich mich kraftloser als an seinem Sterbebett. Und mir wurde klar: Das war sein letztes Geschenk an mich.

Mein Vater war ein Mann der alten Schule. Was er sich vorgenommen hatte, behielt er im Blick. Dazu zählte seine Familie, aber auch seine Patienten und Überzeugungen. Seine Meinung änderte er nur selten und mit Zähneknirschen. Er war für viele Menschen ein Fels, privat wie beruflich. Was er sagte, hatte Hand und Fuß. Wenn er weder das eine noch das andere bieten konnte, zog er sich auf einen neutralen Boden zurück – oder er kniete sich in die Materie so hinein, bis er Hand und Fuß fand. Oder jemanden, der es für ihn tat. Niemand ging ohne Rat von ihm weg, wenn er oder sie ihn gesucht hatte. Darauf konnte man sich verlassen.

An Parkinson stirbt man nicht, hat mein Vater immer tröstend gesagt, doch dass er einem Menschen die Tatkraft und damit zunehmend auch die Aufgaben im Leben nimmt, hat er verschwiegen. Weil er kein Jammerer war und lieber sagte, dass es ihm gut ging. Vergleichsweise. Es ärgerte ihn fürchterlich, dass er keine Glühbirne mehr in die Fassung drehen, meiner Mutter beim Entladen des Autos nicht mehr helfen oder beim Baumschnitt nicht mehr aktiv sein konnte. Und auf den Ärger folgte die Stille. Das Abfinden damit, dass eben kaum mehr etwas ging. Außer die Grundbedürfnisse zu befriedigen und den Kater zu streicheln. Das ist selbst für einen geduldigen, demütigen Menschen wie meinen Vater ein bisschen wenig, auch wenn ich ihn immer wieder motivieren wollte, zumindest sein Gehirn mit diversen Fragestellungen zu beschäftigen. Ich hatte den Parkinson unterschätzt, er vermutlich auch.

Als ich meinen Kopf auf seine Hand gelegt hatte, um den Zeitpunkt zu erspüren, an dem er uns verließ, war nicht nur seine Liebe, sondern auch seine Ruhe auf mich übergegangen. Er hatte mir alles gegeben, was ein Vater einer Tochter schenken kann – und noch viel mehr. Und ich war dankbar für diese Wurzeln, aus denen ich treiben konnte und treiben kann. Und auch wenn ich manchmal 1 und 1 anders zusammengezählt habe wie er, wusste ich doch immer: Wir konnten miteinander, vieles.

Mein Vater hat mein Männerbild geprägt wie kein anderer, es aber auch geklärt. Mir gezeigt, was ein Mann im besten Fall sein kann, aber auch im schlechtesten, wenn er versucht, mit sich selbst klar zu kommen, vieles mit sich selbst auszumachen. Hilfe abzulehnen, wo sie vielleicht angebracht gewesen wäre und einiges verbessert hätte, nur weil das Glaubenssystem ein anderes war. Mit meinem Vater ist ein Mann mit Prinzipien gegangen. Was für mich – neben seiner Liebe – bleibt: Prinzipien dann zu hinterfragen und notfalls über den Haufen zu werfen, wenn es das Leben oder der nahende Tod es erfordern. Nichts ist so lange in Stein gemeißelt, bis der eigene Namen auf dem Grabstein aufscheint. Für meinen Vater ist es leider zu spät, für den Rest gibt es Hoffnung – immer.

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FREITAG: Ein Image aufgeben

Es ist einfach, die Veränderung zu preisen, wenn man nichts zu verlieren hat. Doch wenn etwas dran hängt an einer Entscheidung, fällt sie oft schwer. Sollte sie nicht.

Das Gute an meinen Morgenritualen ist, dass sie mich nach dem Aufstehen mindestens 90 Minuten von meinem Smartphone fernhalten. Denn für die meisten Menschen ist der Griff zum Telefon schneller als der Fuß aus dem Bett. Ich könnte auch, und am Wochenende ist das auch der Fall, allerdings aus sehr persönlichen Gründen. Unter der Woche ist der Input von allen Seiten so groß, dass ich zuerst einmal entleeren muss, bevor ich Platz für Neues schaffe.

Heute morgen fiel mir nach meinen Ritualen ein Posting eines „alten“ Freundes meiner Tochter ins Auge, der in einem Sechs-Minuten-Video darüber sprach, was der Schritt vom zweiten ins dritte Lebensjahrzehnt für ihn bedeutet. Er hat viel geschafft in diesen zehn Jahren, weil er sich begeistert für die LGBTQ-Community einsetzt, selbst eine offene Individualität feiert und damit zu einer Art Star in den sozialen Netzwerken und anderen Medien geworden ist. Und doch zweifelte er in diesem Video, ob es jemals genug ist, ob man irgendwann einmal tatsächlich an dem EINEN Gipfel ankommt, der irgendeine Art von Ziel und damit Ankommen signalisieren könnte. Wie man sich vorstellen kann, ist der Kampf für LGBTQ kein Strandspaziergang, weil es immer irgendwelche Vollpfosten gibt, die denselben vor ihren Augen als Grenze ihrer Welt betrachten und alles andere heruntermachen, verarschen oder beschimpfen möchten. Und dem Freund meiner Tochter haben die Vollpfosten wirklich alles gewünscht, was man nicht einmal seinem ärgsten Feind wünschen möchte.

Ich kann mir vorstellen, dass er zweifelt. Dass er sich fragt, ob wir jemals in einer Gesellschaft leben werden, die einander als Menschen anerkennt – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Denn das sind wir am Ende des Tages und darin sind wir verbunden. Auch ich sehe keinerlei Mehrwert darin, sich auf das Trennende zu fokussieren, während es doch so vieles gibt, was wir gemeinsam haben. Und sei es auch nur die Freude, das Lachen, Gespräche.

Als ich 30 wurde, fühlte ich mich ähnlich müde. Ich verbarrikadierte mich mit einer Freundin in einem Hotel in Altaussee, weil ich das als den einzig passenden Platz für mich ansah. Äußerlich war alles bestens, ich auf der Höhe meiner Kraft und doch mit einer gewissen Leere in mir, deren Ursprung ich nicht ausmachen konnte. Im Grunde war dieser Geburtstag der einzige in meinem Leben, den ich nicht wirklich mit Vorfreude auf das Kommende begangen habe. Mein Ältester sagte immer, dass man erst mit 30 erwachsen ist – inzwischen weiß er, was das bedeutet. Vielleicht ist es das, was einer und einem plötzlich bewusst wird: Jetzt ist das Spiel zu Ende, jetzt gehört die Verantwortung für mein Leben endgültig mir alleine.

Was ich seitdem lernen durfte, ist: Ja, diese Verantwortung kann sich schwer anfühlen, vor allem, wenn man wie der Freund meiner Tochter eine wirkliche und wichtige Mission hat. Und wenn man merkt, dass aus jedem Tümpel, den man in einen Seerosenteich verwandelt hat, wieder ein Monster kriecht, mit dem man es aufnehmen muss. Ich habe allerdings auch gelernt, dass sich mein Verantwortungsgefühl auch verändern darf. Und zwar in die Richtung, dass man erkennt: ICH bin meine oberste Verantwortung. Und alles, was sich schwer anfühlt, gehört vielleicht nicht mehr zu mir. Denn der Spruch „Arbeit muss weh tun“ hat schon lange ausgedient. Vielmehr hat es sich bewährt, dem zu folgen, was uns ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Dann sind wir in unserer Kraft, dann können Pläne gelingen.

Natürlich ist diese Transformation keine leichte, denn wir müssen auch ein Image aufgeben, das wir geschaffen haben. Und das kann gerade für jemanden, der im Rampenlicht steht, eine Challenge sein. Doch aus eigener Erfahrung weiß ich: Es geht. Über Jahre habe ich das Single-Leben propagiert und zelebriert, weil ich Bewusstsein dafür schaffen wollte, dass frau nicht in einer Beziehung bleiben muss, wenn sie ihr schadet. Und obwohl ich davon noch immer beseelt bin, hat mich das Schicksal mit einem Mann beschenkt, bei dem alles stimmt. Ob das meinem Single-Image geschadet hat oder nicht – ich weiß es nicht. Und im Grunde hatte ich auch keine Möglichkeit, darüber nachzudenken. Wenn Dinge wie die Liebe passieren, folgt frau, was sie zum Lächeln bringt. Das sollte der Kompass für alles im Leben sein, egal in welchem Alter und egal, was man glaubt, damit zu verlieren. Man verliert nämlich nie etwas, sondern gewinnt immer etwas Neues, Besseres. Und das sicher wie das 12-Uhr-Läuten.

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FREITAG: Unlogische Vision

Auf mein Visionboard für 2023 habe ich einen Magazinausschnitt mit den beiden Worten „helles Köpfchen“ geklebt. Doch das hilft nicht immer, wie ich feststellen musste.

Ich bin heuer spät dran mit meinem Visionboard, denn ich war bekanntlich 9.000 Kilometer von meinem Magazinfundus entfernt. Eigentlich wollte ich es ja schon Ende Dezember anfertigen, doch da ist mir die Zeit davongelaufen – oder ich der Zeit? Kann man nicht so genau sagen. Auf jeden Fall habe ich es letzten Sonntag endlich geschafft, ein halbes Flipchart-Blatt mit Themen zu bekleben, die mich aus fünf verschiedenen Magazinen angesprungen sind. Platz für ein ganzes habe ich leider nicht, weil bei aller Fülle in meinem Zuhause freier Wandraum Mangelware ist.

Da finden sich Begriffe wie „Achtsamkeit“, „Loslassen“ und eben „helles Köpfchen“. Und alle drei bergen Herausforderungen in sich, die vor allem dann schlagend werden, wenn frau es mit Ärzten oder der Schulmedizin zu tun bekommt. Ich komme ja aus einem medizinischen Haushalt, weshalb man mir auch während des Essens die unappetitlichsten Geschichten erzählen kann – mein Magen hält das ob seiner frühkindlichen Prägung locker aus. Hat seine Vorteile, wenn beispielsweise Kinder am Tisch sitzen, die glauben, sie könnten eine mit Horrorgeschichten schockieren. Da braucht man gute Nerven, und die müssen eben genährt werden. Simple as that.

Aufgrund dieser Vorprägung bilde ich mir ein, gewisse Zusammenhänge dann doch herleiten, auch Schlussfolgerungen nachvollziehen zu können. Doch kürzlich musste ich w.o. geben. Folgender Fall: In einem Körperteil eines Menschen mit chronisch niedrigem Blutdruck befindet sich Wasser, das dort nicht hingehört. Und dieser Mensch muss Medikamente nehmen, die diesen Blutdruck als Nebenwirkung niedrig halten. Noch zusätzlich kam die Diagnose eines schwächelnden Herzens. So weit, so unerfreulich. Der Versuch, durch zusätzliche Medikamente das Wasser aus dem Körper zu bekommen, die den Blutdruck noch weiter in den Keller rasseln haben lassen, ist gescheitert, weshalb man beschloss, das Wasser mittels Punktierung zu entfernen. Das allerdings macht nötig, dass man eine herzstärkende Infusion verabreicht, die den Blutdruck weiter senkt. Das war allerdings nicht möglich, weil der Blutdruck von Haus aus zu niedrig war, um die Infusion anzulegen. Mein technisch versierter Nachbar meinte: „Völlig logisch für mich. Wenn eine Baugrube voller Wasser ist, dann stelle ich die Pumpe auch auf eine niedrigere Frequenz, damit es möglichst langsam geht mit der Entfernung des Wassers.“ Und lächelte sarkastisch.

Mein Visionboard war insofern hilfreich, weil ich meine Achtsamkeit vollkommen auf die medizinischen Ausführungen richten musste, um die Unlogik erfassen zu können. Das Wort „Loslassen“ unterstützte mich insofern, dass ich akzeptieren musste: Dieser Mensch hat sich für die Schulmedizin als einzig möglichem Referenzrahmen entschieden und nimmt das Unlogische als gegeben hin. Da als Nicht-Betroffene Erklärungen zu fordern, wenn der Betroffene schon alles abnickt, scheint mir sinnbefreit. Und das Loslassen-Motto hat mich auch daran erinnert, dass mein „helles Köpfchen“ Lösungen ausspucken kann, die niemanden interessieren.

Auf dem Visionboard findet sich auch eine Feder, ein Weihrauchfass und das Bild eines Wasserfalls. Also werde ich mich in die Leichtigkeit ergeben und das Gewicht einfach abgeben. Manchmal kann es ziemlich entspannend sein, sich nicht zuständig fühlen zu müssen. Sich nicht das helle Köpfchen zu zermartern. Sondern einfach dem Flow zu folgen. Und zu strahlen. „Glow!“ steht nämlich auch auf dem Visionboard. Und das ist eine leichte Übung für mich.

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FREITAG: Einfach komplex

Den Wind gibt es hier wie dort, meine Bräune wird sich wohl auch noch ein paar Tage halten und das Arbeiten ist mir ja auch geblieben. Doch sonst?

Meine Füße sind selbst nach drei Tagen immer noch schwer, speziell mein kleiner Zeh macht erst recht Probleme, seit er sich in Schuhe zwängen muss und nicht mehr an der Sonne vor sich hin heilen darf. Das konstante Sitzen hat mich wieder, die Katze residiert ja in einem kleinen, kuscheligen Palast in der Gartenhütte, mit der sie mein Ex beschenkt hat. Obwohl ich eine Katzenfrau bin, muss ich sagen: Hunde halten einen mehr auf Trab, speziell wenn man eh zum Sitzen neigt. Doch die Situation mit meinen fluggeschädigten Beinen macht mir eines deutlich: Ich soll es wohl zuhause langsam und sanft angehen.

Das wird neben dem Wind und dem Arbeiten wohl auch bleiben, denn frau gewöhnt sich daran, an die Entschleunigung. Wenn es bis zu sechs Stunden am Tag keinen Strom gibt, tut man sich leicht, ein Buch zu lesen. Weil ein Großteil der Arbeit schon erledigt ist. Zeitmanagement funktioniert in diesem Umfeld sehr gut, weil extern initiiert. Und mit Gegebenheiten zurecht kommen, kann ich ganz gut. Der Knackpunkt ist bei mir immer der, wenn ich erkenne, dass ich Dinge oder Situationen verändern kann. Da werde ich hyperaktiv, körperlich und mental. Doch wie ist gegen die staatliche Stromversorgung anzukommen? Gar nicht. Also mache ich das Beste daraus, weshalb sich Arbeit vielfach eben nicht als Arbeit angefühlt hat.

Hier gibt es von allem viel. Meine Bücher sind wieder um mich, mein Terminkalender füllt sich zusehends, Strom gibt es (noch) ausreichend. Und ich sitze eben wieder vor meinem Computer mit der Gewissheit, dass ich es ganz alleine bin, die für das Zeitmanagement verantwortlich ist. Gut, ich könnte mich darauf hinausreden, dass es hier ja keine Wärme gibt, unter die ich mich mit einem Buch breiten könnte. Doch die Couch ist auch nicht unbequem und säuselt mir ein „Komm‘ schon“ ins Ohr. Auch die Windspiele im Garten erinnern mich daran, den Augenblick zu genießen. Doch die Stimmung hier ist: Mach, tu etwas.

Das war immer schon der Grund, warum es mich nach Afrika gezogen hat. Weil ich dort sein konnte, weil ich weit genug vom Leistungsdenken weg war, um es in Frage zu stellen und dann die Pausetaste zu drücken. Zuhause fällt mir das mit der Pausetaste wirklich schwer, gerade wenn ich mir vornehme, im Augenblick zu sein. Denn gerade in diesem Augenblick, während ich diese Zeilen schreibe, werde ich daran erinnert, dass ich noch mein Visionboard für 2023 machen will. Dass die Tulpen in der Vase neues Wasser brauchen. Dass das Kochgeschirr in den Geschirrspüler gehört. Dass ich meinen Kreativitätstechniken-Workshop vorbereiten möchte. Dass ich mich endlich bei meinen Nachbarn melden sollte, um einen Termin für die Übernachtung des Kleinen auszumachen. Zum Vergleich: In den vergangenen Wochen lief es gemächlicher. Wenn es Strom gab, habe ich gearbeitet. Wenn der Pool voller Blätter war, habe ich sie rausgefischt. Wenn die Hunde zu viel Dreck ins Haus getragen haben, kam der Besen zum Einsatz. Und wenn Essenszeit war, wurde gekocht. Ich empfinde mein Leben in Europa als viel komplexer als in Afrika. Und ich frage mich, ob es tatsächlich so sein muss oder ob es einen Weg geben könnte, der Komplexität mit mehr Einfachheit zu begegnen. Doch ich merke, dass ich allein durch diese Idee in einen Gehirnstrudel hineinkomme, weil mir bewusst wird, dass Komplexität nicht einfach durch ein Fingerschnipsen aufgehoben werden kann.

Doch vielleicht kann es so funktionieren, dass ich in einem ersten Schritt einfach hinterfrage, ob Verhaltensweise und Dinge wirklich notwendig sind. Warum ich etwas mache und ob ich es auch lassen kann. Mir ist momentan sehr nach lassen, aber das mag auch der Umstellung geschuldet sein. Upbeat-Songs an der Ampel sind eben ganz etwas anderes als Perlhühner-Schreie aus der Palme. Wird schon, denke ich mir. Und warm wird es bestimmt auch von selbst wieder. Bis dahin habe ich Vitamin-D-Tabletten gegen den Winterblues, liebevolle Erinnerungen und den festen Plan, allem die Zeit zu geben, die benötigt wird. Vor allem mir selbst.

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FREITAG: Zurück in die Pubertät!

Nach einigen Jahren ohne Jugend in meinem Haus komme ich nun in den Genuss, wieder in die Erlebniswelt junger Menschen eintauchen zu dürfen. Und ich kann gar nicht glauben, wie schnell sich manche Dinge in nur relativ kurzer Zeit verändern können.

Als ich meine Kinder begleiten durfte, lag mein Hauptfokus darauf, ihnen etwas zu vermitteln, was Bestand haben könnte. Denn durch meine eigene Erziehung hatte ich festgestellt, dass manche der Werte, die meine Eltern mir mitgegeben hatten, nur mehr bedingt von Nutzen waren. Das war keineswegs ihr Fehler, denn Eltern handeln immer nach bestem Wissen und Gewissen. Doch die Welt hatte sich während meines Heranwachsens so rasend schnell zu drehen begonnen, dass neue Vorgehensweisen angebrachter erschienen.

Im Alter von 19 Jahren feststellen zu müssen, dass es auch andere Sichtweisen auf das Leben gibt, als ich sie aus meiner gebirgigen Wachstumsregion mitgebracht hatte, war anfangs ziemlich spannend. Denn in diesem Alter kann man sich noch einigermaßen an Neues anpassen, sucht es häufig auch. Schließlich will der eigene Horizont erweitert werden, speziell wenn er von Bergen begrenzt war wie in meinem Fall. Und es ist natürlich auch eine Art von Rebellion, Dinge anders zu sehen und zu tun, als sie einer gelehrt wurden. Tirol ist schließlich nicht überall – glücklicherweise.

Im Laufe meines Lebens stellte ich allerdings fest, dass ich sehr wohl Werte vermittelt bekommen hatte, die es wert waren, weiterzugeben. Speziell, als die Kinder in mein Leben kamen. Nach der rebellischen Phase meines eigenen Erwachsenwerdens wurden die Tugenden durch die neue Generation wieder auf den Prüfstand gestellt. Und vieles hielt. Zum Beispiel, dass man mit jungen Menschen tunlichst im Gespräch bleiben sollte. Die Geduld und Leidensfähigkeit wird dabei gehörig auf den Prüfstand gestellt, denn ich habe mir vieles angehört, was mich mit keiner Faser meines Herzens interessiert hat. Ich hatte es nie mit Computerspielen oder anderen modernen Spielzeugen, empfand mich nicht als besonders kreativ und war auch niemand, der Action viel abgewinnen konnte. Und doch nahm ich mir die Zeit dafür, weil es mir egal war, worüber die Kinder mit mir reden wollten – Hauptsache, sie redeten. Und das galt vor allem für die Burschen, die generell ja kein besonders ausgeprägtes Redegen haben. Meine reden bis heute, können sich ausdrücken und mögen den Austausch.

Jetzt muss ich sagen, dass ich Glück hatte. Denn die größte Strafe für mich wäre gewesen, wenn meine Bemühungen um Kommunikation gescheitert wären. Die Kinder stumm zu erleben, unfähig, Worte für ihre Befindlichkeiten und/oder Gedanken zu finden, auch unsicher, ob das, was sie ausdrücken möchten, auch wohlwollend aufgenommen wird – das alles hätte mich buchstäblich mit dem Kopf gegen die Wand schlagen lassen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie bedrückend es sein kann, wenn man für die eigenen Gefühle und Gedanken keine Worte findet. Da stapelt sich etwas im Inneren, was einer die Stimmung vergällt, den Hunger dämpft, die Lebenslust massiv beeinträchtigt. Und je länger man keinen Ausdruck findet, umso gefährlicher wird die emotionale Gemengelage. Ich habe glücklicherweise für mich Werkzeuge gefunden, diesen Zustand nach einer überschaubaren Anzahl von Tagen zu beenden. Doch junge Menschen haben ihren Werkzeugkasten vielfach noch nicht so gefüllt wie eine Voll50-Frau.

Deshalb glaube ich, dass eine der immergrünen Werte, die man jungen Menschen vermitteln kann, jene ist, dass Menschen miteinander im Gespräch bleiben sollten. Wohlwollend, wertschätzend, offen. Und das fällt vor allem dann schwer, wenn man zu wissen glaubt, wen man vor sich hat. Denn Schubladisierungen sind immer trügerisch. Das merke ich häufig im Gespräch mit meinen Eltern, die ich natürlich immer noch gerne als jene Gesprächspartner sehen würde, die ich als junger Mensch erlebt habe. Doch inzwischen sind Jahrzehnte vergangen, und die Herausforderung für mich war, auch ihnen Entwicklung zuzugestehen. Den Menschen in unserer nächsten Umgebung versagen wir das manchmal, weil wir einfach daran festhalten wollen, dass es wenigstens etwas gibt, was bleibt. Das ist wie mit der Religion, die für viele Menschen auch ein Feld ist, das ihnen Stabilität gibt. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.

Anzuerkennen, dass sich unsere Kinder entwickeln, gerade in der Pubertät ihre Persönlichkeit erforschen und immer wieder einen neuen Blick darauf zu legen, was aktuell anders ist – das ist mir durch das konstante Kommunizieren mit den Kids leichter gefallen. Weshalb dieser Wert im Umgang mit der Jugend allgemein für mich der wichtigste ist. Als Erwachsene sind wir es, die Verantwortung für unsere eigenen Gefühle und Handlungen übernehmen sollten – vor allem, wenn wir mit den Youngsters sprechen. Sie sind oft in den Stürmen ihrer Existenz gefangen, zugebenermaßen auch scheinbar egozentrisch. Doch ist es nicht nachvollziehbar, dass wenn das Innere unaufgeräumt ist, das Äußere unweigerlich in Mitleidenschaft gezogen wird?

Kindern Werte zu vermitteln, bringt uns Erwachsene automatisch in die Situation, uns selbst zu überprüfen. Und festzustellen, dass sich manches, was wir als selbstverständlich angenommen haben, vielleicht gar nicht mehr vertretbar ist. Weil sich unsere kleine und große Welt stillschweigend weitergedreht hat, während wir noch versuchen, die Dinge zu regeln, die wir vielleicht unhinterfragt übernommen haben. Unsere Kids zwingen uns manchmal sogar dazu, das zu überprüfen, was wir ihnen an Stabilität zu bieten gewillt sind. Weil sie vielleicht etwas anderes brauchen. Die Frage ist: Können wir das? Sind wir bereit, mit dem Flow zu gehen und uns damit in eine Situation zu bringen, die auch uns in eine Art Pubertätsmentalität versetzt? Wenn wir unsere persönlichen Wertepflöcke gesetzt haben, können wir dieses Risiko ruhig eingehen.

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FREITAG: Etwas bewegen, wo es geschätzt wird

Die Zitronen baumeln im leichten Nachmittagswind, nur wenige Meter entfernt beschützt mich ein schnarchender Beagle-Mann vor wilden Tieren. Und ich gewöhne mich langsam an die Gegebenheiten.

Das Gefühl der übermäßigen Privilegiertheit, unter südlicher Sonne arbeiten und leben zu dürfen, legt sich langsam. Auch weil ich gemerkt habe, dass mich die 30 Grad Hitze und die drei Hunde von den wichtigen Dingen im meinem Leben nicht fernhalten können. Es ist so ähnlich wie mit dem Alkohol: Er hilft nicht gegen Sorgen, weil sie verdammt gut schwimmen können. Und so merke ich, dass eine veränderte Umgebung nur sehr beschränkt dazu beiträgt, die Anforderungen in meinem Leben leichter zu nehmen.

Heute morgen wurde ich in meinem täglichen Schreibimpuls dazu aufgerufen, darüber nachzudenken, wie ich mir ein einfaches Leben vorstelle. Und das war ziemlich schwer, weil ich gemerkt habe, wie sehr ich mich inzwischen an die Herausforderungen gewöhnt habe, die meistens über meinen Alltag hereinbrechen. Dass ich mir oft schon gar nicht mehr überlege, ob ich sie annehmen will oder nicht. Denn – offen gesagt – liebe ich Herausforderungen. Weil sie mein Hirn trainieren, indem sie mich kreative Lösungen suchen lassen.

Jetzt muss man natürlich unterscheiden lernen zwischen den kreativen Lösungen für eine selbst oder für andere. Und genau das macht den Unterschied zwischen einfachem und kompliziertem Leben aus. Ich bemerke, dass ich meine Kreativität mehr für mich selbst nutzen möchte, weil mir das einfacher erscheint als andere von Lösungen überzeugen zu müssen – selbst wenn sie angefragt wurden. Und das trifft ganz besonders auf Fälle zu, wo zuerst angefragt und dann wieder entzogen wurde. Weil ich mich da – verzeihen Sie meine Sprache – verarscht fühle.

Jetzt ist dieses Gefühl keines, das mir liegt. Weil ich davon überzeugt bin, dass ich immer die Wahl habe, die Kapitänin meines eigenen Schiffes zu sein. Dass Loyalität dort endet, wo sie zu einem einschneidigen Schwert wird. Dass ich zu alt bin, um für meine Kompetenz kämpfen zu müssen. Lieber lasse ich etwas, was mir deutlich signalisiert, dass die Zeit abgelaufen ist.

Jenseits von den heimatlichen Ablenkungen nützt mir dann doch die örtliche Distanz, um Dinge klarer zu sehen. Was ich brauche für ein einfaches Leben. Und dazu gehören mit Sicherheit keine schlechten Vibes und Mangelgefühle. Ich möchte ein Leben leben, in dem ich Dinge bewegen kann, weil ich weiß, dass sie dann besser werden. Und so wie es aussieht, kann ich das nachhaltig nur für mein eigenes Leben in die Hand nehmen. Es ist wohl die Zeit gekommen, das endlich umzusetzen.

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FREITAG: Dampf ab, schlechtes Gewissen!

Es ist gar nicht so einfach, das Glück zu akzeptieren, wenn man mitten drin steckt. Dabei dachte ich immer, ich hätte ein Händchen dafür. Das sich langsam, aber sicher wieder öffnet.

Mein erster Impuls für diesen ersten Blogbeitrag des Jahres war, mich selbst anzuzweifeln. Daraus ist ein Lamento entstanden, das meiner aktuellen Situation in keinster Weise gerecht wird. Und das ich vermutlich auch keinem Menschen zumuten sollte. Deshalb entsteht hier die freundliche Version der ersten, die aus Müdigkeit und Anpassungsschwierigkeiten heraus geboren wurde.

Doch nicht nur daraus. Ich musste feststellen, dass ich mich nur schwer von einer Art schlechtem Gewissen befreien konnte. Jenem nämlich, dass ich mich partiell schlecht dabei gefühlt habe, in einer Umgebung zu arbeiten, in der andere und auch ich bislang Urlaub gemacht haben. Das mache ich normalerweise in Salzburg ja auch, das Jahr für Jahr von Millionen von Touristen besucht wird. Und obwohl ich diese Stadt als den perfekten Wohnort betrachte, arbeite ich doch etwas außerhalb und sehe weder Festung, noch Salzach oder den Festspielbezirk jeden Tag. Insofern ist mir der Segen meines Arbeitsplatzes nicht so bewusst wie hier.

Hier – das bedeutet Sonne, Strand und Meer. Das Arbeiten im Freien mit der Option, bei geistiger und körperlicher Überhitzung in den Pool springen zu können. Das neue Leben als Beziehungsmensch auszuprobieren und tagtäglich zu überprüfen, was ich an alten Prägungen loslassen kann und neue, wohlwollende Verhaltensweisen zu aktivieren. In dieser Umgebung zu arbeiten und zu leben, ist ein absoluter Segen. Das haben mir zwei Freundinnen bewusst gemacht, denen ich meine Zwiespältigkeit bezüglich meines aktuellen Status quo erzählt habe. Beide waren sich einig: „Das hast Du Dir verdient.“

So hatte ich die Sache nicht zu betrachten gewagt. In meiner Welt bin ich immer noch nicht daran gewöhnt, dass sich mein Prinzip, Gutes in diese Welt zu bringen, auch tatsächlich auf mich selbst auswirken könnte. Ich bin normalerweise so damit beschäftigt, mein Dasein freundlich, wohlwollend und konstruktiv zu gestalten, dass ich gar nicht dazu komme, Erwartungen in irgendeiner Richtung aufzubauen. Und vermutlich ist das auch der Grund, warum ich in den ersten Tagen am Kap mit meiner Situation gehadert habe. Weil Erwartungen erfüllt wurden, die ich gar nicht hatte. Pläne, ja. Doch das Universum und ich sind ja nicht immer einer Meinung, haben das eine oder andere Missverständnis. Weshalb ich ja vieles einfach laufen lasse, um herauszufinden, was an Gutem bei der Haustüre hereinkommt. Und es kommt vieles, was mich dankbar macht.

Das hier allerdings sprengt den Rahmen von „Gut“. Arbeit fühlt sich nicht wie Arbeit an, sie ist vielmehr ein Teil eines ruhigen Stroms; in dem zwei Maltesermischlingsmädels eine große Rolle spielen. Und dieser Strom ist nicht nur der Liebe und Zuneigung geschuldet, die mich hier umgibt. Er ergibt sich auch dadurch, dass es Stromabschaltungen gibt, die mich mindestens für zwei Stunden täglich zwingen, Offline-Zeit zu gestalten. Eine meiner größten Sorgen war ja, dass ich keine Zeit für mich selbst haben könnte. Eine Eremitin wie ich braucht Zeit fürs Nachdenken, Ausbalancieren, Entdecken. Und wider Erwarten habe ich sie, ohne mir diese Zeit mit meinem hyperaktiven Ich ausdiskutieren zu müssen. Alles ist in der Balance, ohne Zeitmanagement und sonstigen Systemen, die ich mir zuhause eingerichtet habe.

Vermutlich habe ich diesen Zustand tatsächlich verdient, wie meine Freundinnen sagen. Und vermutlich ist das eine wunderbare Gelegenheit, das Gute mit dem Nützlichen zu verbinden. Daraus ein schlechtes Gewissen zu lukrieren, ist vollkommen unnötig, eine Selbstgeiselung, die nicht mehr in mein Leben passt. Ich darf die beste Umgebung für mein Arbeiten, mein Sein genießen. Und Prägungen loslassen, die sich vorsichtig ducken wollen, weil der Neid hinter jedem Busch lauern könnte. Soll er doch, wenn er sich dort wohlfühlt. In der südlichen Sonne darf er aber auch gerne verdampfen.

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