FREITAG: Altern ist eine Entscheidung

In dieser Woche habe ich einen Artikel über das Altern recherchiert. Da kann man mit voll50 gar nicht anders, als sein eigenes Alter auf den Prüfstand zu stellen.

Krafttraining, Ernährung, soziale Kontakte und Optimismus – das sind im Großen und Ganzen die Ingredienzien für das Altern in angenehmer Art und Weise. Und was so einfach Schwarz auf Weiß zu schreiben ist, kann manchmal ganz schön schwer sein. Dann nämlich wenn man sich überwinden muss, mit Hanteln zu üben, wenn man sein Leben lang kein Bewusstsein für Fitness hatte, sondern nur ans Arbeiten gedacht hat. Auch das Essen kann zu einer Herausforderung werden, wenn der Hunger schwindet und die Geschmacksknospen das Blühen sukzessive einstellen. Den Freundeskreis an einem vorbei schrumpfen zu sehen, lässt auch die Bereitschaft sinken, neue Kontakte zu suchen, und das mit dem Optimismus? Wer das Leben vom Ende her denkt, scheint sich selbst nicht mehr die Zeit dafür zu gestatten.

Jetzt kann ja tatsächlich alles schlecht sein. Die Gesundheit, das Essen, die Freundschaften und das allgemeine Gefühl fürs Dasein. Doch das muss es nicht. Ich bin überzeugt, dass auch Altern eine Frage der Einstellung ist. Mein Vater sagt immer: „Wenn Du mit 50 aufwachst und Dir nichts weh tut, bist Du tot.“ Insofern freue ich mich tatsächlich, wenn mir mein Körper Zeichen gibt, dass ich noch am Leben bin. Und es sportlich nehme, wenn ich eben in der Früh nicht mehr sportlich aus dem Bett springe. Wobei: Habe ich das jemals getan? So leidenschaftlich ich lebe und so ausdauernd mein Tag sein kann – am Morgen aufgestanden bin ich noch nie gerne. Doch watt mutt, datt mutt. Und so checke ich gleich nach dem Aufschlagen meiner Augen, welcher Teil des Körpers mit mir gerade reden möchte und ein besonders freundliches „Guten Morgen“ verdient. Und eine Yogaeinheit.

Mit meiner aktuellen Sinusitis kann ich gerade gut nachvollziehen, wenn einer der Sinne ausfällt. Und mir fehlt es, mich über meinen Kochtopf zu lehnen und die Gewürze zu riechen, die vor sich hin brodeln. Doch dass ich deshalb mit dem Essen aufhören würde? Niemals. Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse über die Nahrungsaufnahme ist, für den Körper und nicht alleine für den Gaumen zu essen. Dadurch habe ich mir bewusst gemacht, dass das zwei verschiedene Dinge sein können. Und es hat mein Bewusstsein dafür geschärft, auf meinen Körper zu hören, selbst wenn der Gaumen laut nach einer Leberkässemmel schreit. Dreimal im Jahr bekommt er sie, doch nicht öfter. Weil es nämlich eine vernünftige Entscheidung ist, auch den Rest der sterblichen Hülle zufriedenzustellen.

Mein Großvater war gesellschaftlich gesehen ein Hansdampf in allen Gassen. Ich erinnere mich noch, dass ich mich schon als Kind gewundert hatte, wie viele Menschen er auf der Straße begrüßt und mit ihnen geplauscht hat. Er war in verschiedensten Institutionen, Vereinen und Clubs vernetzt, was ihn unter die Leute und damit auch mit verschiedenen Generationen in Kontakt brachte. Der Austausch hielt ihn jung, weit über das 80. Lebensjahr hinaus. Doch als er mit 94 Jahren starb, hatte er tatsächlich den Faden verloren, auch weil sich die Zeit zu schnell veränderte. Und das hat in den vergangenen 20 Jahren weiter an Tempo aufgenommen. Soziale Kontakte zu pflegen, wenn sich oft schon junge Generationen maßgeblich voneinander unterscheiden, ist tatsächlich eine Herausforderung. Ich stelle in meinem Leben fest, dass sich mein soziales Umfeld in den letzten Jahren tatsächlich hin zu meiner eigenen Altersgruppe verändert hat, doch glücklicherweise nicht ausschließlich. Ich genieße wie mein Großvater die Impulse von jüngeren Menschen, weil sie mich in die aktuelle Zeitqualität hineinziehen und mir verdeutlichen, was gerade gebraucht wird. Und das ist vor allem eines: zuhören. Wenn jede und jeder verzweifelt versucht, sich Gehör zu verschaffen, um sich wahrgenommen zu fühlen, kann ich gerne zuhören und damit Seelen befrieden. Meine proaktive Lösungsorientierung schwindet, ist aber auf Anfrage abrufbar. Das erleichtert mein Dasein ungemein, öffnet mich und lässt mich Menschen unvoreingenommener begegnen. Mit dieser Eigenschaft ausgestattet, bin ich ziemlich sicher, dass mein Leben kein einsames werden wird, auch nicht im hohen Alter.

Und an Optimismus mangelt es mir ohnehin nicht. Ich kann beinahe jeder Situation etwas Gutes abgewinnen. Woher das kommt, weiß ich nicht, doch ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass das ziemlich nervig sein kann. Ich erinnere mich an eine Beziehungskrise vor einigen Jahrzehnten, die daraus entstanden ist, weil ich zu jeder negativen Situation meines damaligen Freundes immer eine positive Seite hinzufügen wollte, um seine Perspektive zu erweitern. Er wollte das nicht, hat es persönlich genommen und mir mangelnde Loyalität unterstellt. Dass ich an seinem Grab gestanden bin, war wohl der ultimative Beweis FÜR meine Loyalität. Aber wurscht. Natürlich ist mir bewusst, dass ich den Zenit meines Lebens insofern überschritten habe, dass hinter mir vermutlich mehr Jahre liegen als vor mir. Doch es sind immer noch Jahrzehnte, die ich mit Premieren füllen kann. Und das gedenke ich auch zu tun. Denn was sollte mich davon abhalten? Die Aussicht darauf, dass das am Ende sowieso nicht zählt, weil alles zu Ende ist? Ich bin mir da nicht so sicher, und ich bin ziemlich neugierig darauf.

Die gesprochene Version dieses Textes finden Sie auf www.voll50.com/category/podcast


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