FREITAG: Sessel her oder Schuhe aus

Mit der Macht ist es ja so eine Sache. Irgendwie hat es etwas Unangenehmes an sich, fast Verruchtes. Doch sie hat auch eine konstruktive Seite.

Am Wochenende diskutierte ich mit den Teilnehmenden meines Workshops zum Thema Gruppendynamik über Macht. Und wie schon wiederholt beobachtet: Irgendwie ist das für einige von ihnen unangenehm. Verstehen kann ich das gut, denn mit Macht wollte ich auch lange nichts zu tun haben, geschweige denn, sie auszuüben. Während meines Studiums hatte ich „Masse und Macht“ von Elias Canetti gelesen – diese Seite von Macht dürfte wohl hängen geblieben und deshalb auf die Seite geschoben worden sein. Die Geschichtsbücher und Tageszeitungen sind voll davon, wie Macht missbraucht werden kann, weil sie zum persönlichen Vorteil genutzt wird und dadurch immer manipulativ ist.

Wenn ich meine Gruppe nun dazu aufrufe, Macht auszuüben, kommt das nur beschränkt gut an. Doch durch das Erläutern der konstruktiven Seite kommen wir ins Gespräch, öffnen sich Herzen, weil ja alle gerne lehren und Wissen weitergeben möchten. Und sie sehen, dass „Macht“ etwas mit „machen“ zu tun hat. Mit etwas bewegen wollen zum Wohl derer, die sich einem anvertraut haben. Und das ist ein klarer Auftrag, ins Tun zu kommen. Oft haben Menschen am Beginn dieser Tätigkeit viele Selbstzweifel. „Kann ich das?“ oder „Wen interessiert das schon?“ sind nur einige der Fragen des inneren Zensors, die die Lehrenden in spe davon abhalten, in dieses Tun zu kommen. Und am Ende ist nicht selten eine Abneigung vor der Macht der Grund dafür, eigene Lehrkonzepte zu prokrastinieren.

Nach einer Pause kam die Rede auf „Sofagate“. In meiner Welt wäre das etwas Wildes, das sich auf einer Couch abspielt – die Details überlasse ich Ihrer Phantasie. In der Welt „da draußen“ versteht man darunter, dass die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen während eines Besuchs beim türkischen Präsidenten aus Ermangelung eines dritten Stuhls auf dem Sofa Platz nehmen musste. Der zweite Sessel im Raum war nämlich bereits durch ihren EU-Kollegen buchstäblich besetzt worden. Claude Michel ist der Präsident des Europäischen Rates und ganz nebenbei der Sohn jenes Politikers, der sich während der Sanktionen gegen Österreich um die Jahrtausendwende hierzulande nicht unbedingt Freunde gemacht hatte. Gut, wir heben diese Sippenhaftung auf, doch nichtsdestotrotz lese ich, dass Monsieur Michel seit diesem Besuch nun schlecht schlafe, weil er die Frau Präsidentin gesäßmäßig außen vor gelassen habe. Und fast finde ich es charmant, dass sich heutzutage wieder Männer Gedanken darüber machen, wenn sie Frauen nicht in den Mantel helfen oder ihnen den Sessel zurechtrücken.

Teile meiner Gruppe waren der Meinung, dass diese ganze Aktion eine Provokation des türkischen Präsidenten war, da man ja wisse, wie im Islam mit Frauen umgegangen werde. Ein anderer Teil hätte es als Aufgabe der Männer gesehen, einen Stuhl für von der Leyen aufzutreiben. Aber zack, zack. Und doch waren sich alle relativ einig darüber, dass es ein Protokoll gebe, dem man zu entsprechen habe. Mich erinnerte diese Situation an eine Geschichte, die ich über Angela Merkel und Wladimir Putin gelesen habe. Da Putin ja aus Geheimdienstkreisen kommt, wisse er, dass sich Merkel vor Hunden fürchte. Weshalb er anfangs immer einen Hund bei den gemeinsamen Treffen dabei gehabt habe. Er ist ja ein Mann der starken Symbole. Doch dass daraus ein „Doggate“ entstanden wäre, ist mir nicht bekannt. Nur, dass sie ihm diese Provokation nie verziehen habe und trotzdem gute Miene zum bösen Spiel mache.

Während sich die Gruppe noch über „Sofagate“ austauscht, überlege ich mir, was ich an Präsidentinnenstelle gemacht hätte. Vermutlich wäre meine erste Amtshandlung gewesen, dass ich mir die Schuhe ausziehe und sie mit den Sohlen nach oben auf den Teppich lege. Wer sich ein bisschen auskennt, weiß, was das in diesem Rahmen bedeutet. Dann hätte ich meine Beine hochgelagert, um einen Aschenbecher gebeten und eine Zigarette angezündet. Und mit Amüsement die Testosteronschlacht verfolgt. Gut, diese Art der Herangehensweise hätte mich natürlich nie in dieses Amt gebracht – da muss man die Spielregeln schon kennen. Andererseits: Wer hat denn die Spielregeln gemacht?

Was mich wieder zum Thema zurück bringt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Ursula von der Leyen viel bewegen möchte und deshalb ihre Macht sinnvoll nutzen kann. In diesem Fall allerdings hat sie sich aushebeln lassen. Eine Frau wie sie ist nicht darauf angewiesen, dass sich Männer um ihre Belange kümmern – Ausnahme ist sicher die Familie, denn für die sieben Kinder hat  sehr wohl ihr Ehemann gesorgt. Aber beruflich gesehen hätte ich ihr zugetraut, dass sie einfach einen dritten Stuhl verlangt. In Ruhe und der ihr eigenen Bestimmtheit. Und wie ich Männer dieser Provenienz kenne, kommen sie klaren Bitten meistens nach. Wäre das gescheitert, hätte sie ja immer noch die Schuhe ausziehen können.


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