FREITAG: Unterm Rock

Was ich an meinem Beruf besonders schätze, ist, dass ich immer wieder lernen darf. Über Zusammenhänge, Menschen, Themen, mit denen sich meine Interessenslage bislang wenig bis gar nicht überschnitten hat. Und dann gibt es da auch noch neue Begrifflichkeiten.

Da rede ich jetzt nicht von Fremdwörtern wie Akinese, die mich meistens im Bauchtanzstudio befällt, wenn ich mein Bein nach hinten strecken und dabei auch noch schütteln soll. Da geht maximal ein gequältes Lächeln, aber darüber hinaus ergebe ich mich vollkommen der Bewegungshemmung. Oder usurpieren, weil mir körperliche Gewalt in ihrer Ausübung fremd ist (was nicht heißt, dass ich nicht ab und an davon träume, jemandem eine runter zu hauen) und ich meist nur will, was zu mir gehört. Auf Macht kann ich ebenfalls verzichten, mir reicht es, wenn ich mein Leben eigenmächtig wuppe. Würde ich da auch noch usurpieren, würde ich wahrscheinlich schon mit meinen Pastinaken Tango tanzen.
Ich rede von einer Begrifflichkeit, die mir kürzlich bei der seltenen Lektüre meiner abonnierten Wochenzeitung begegnet ist. Ja, Zeitunglesen gehört zu meinem Beruf – lucky me! Wie auch immer: Plötzlich stand da „Upskirting“. Schon gehört? Ich bis dahin nicht. Die Recherche ergab, dass damit das Unter-den-Rock-Fotografieren gemeint ist. Geht’s noch? Es gibt einen Begriff für diese Absonderlichkeit? Man könnte eigentlich in unserer übersexualisierten Zeit davon ausgehen, dass die Hinterteile von Frauen sowie diverse umhüllende Kleidungsstücke durchaus gekannt sind. Offenbar nicht, denn das verwackelte Bild eines Handys muss ja wohl ganz etwas besonders Aufregendes sein. *augenroll* Die Briten haben inzwischen ein Gesetz dagegen erlassen, in Österreich und Deutschland sind derzeit gesetzlich „erlaubt“. Ich hasse es, mich zu wiederholen, aber: Geht’s noch?
Wenn ich mir die Führerscheinanwärter von heute anschaue, dann stelle ich fest, dass sich der Prüfungsstoff vervielfacht hat. An Ge- und Verbote, die heute umgesetzt werden müssen, kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht war der Führerschein damals so billig, weil wir nur die Hälfte wissen mussten? Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Gesetzeslage damals übersichtlicher war. Weil es noch so etwas wie Benehmen gab. Weil man durchaus noch eine Ahnung hatte, was zum friedlichen Miteinander notwendig ist. Vorfahrt geben statt nehmen, Bitte und Danke, Profile statt Pos fotografieren – solche Sachen. Manche jungen Menschen trauen sich oft schon deshalb kaum mehr etwas, weil sie fürchten, wegen einer Lächerlichkeit verknackt zu werden.
Unsere Gesetzeslage ist unübersichtlich wie die Verkehrslage auf dem Mittelstreifen einer Autobahn. Und ich denke, das kommt daher, dass es für jedes Fehlverhalten von Menschen gleich ein Gesetz geben muss. Weil die Gesellschaft offenbar ohne das alles außer Rand und Band gerät. Verstehen Sie mich bitte richtig: Für die dicken Dinger ist gerechte Strafe angemessen. Doch für kleine Dinge wie Upskirting sollte es kein Gesetz brauchen – weil wir wissen MÜSSEN, dass das einfach ungehörig ist. Weil wir Menschen sind, die sich befrieden statt bekriegen sollten. Und das geht manchmal besser ohne Handy. Punkt.

FREITAG: Sommergefühle

Sommerhimmel

Ich liebe es, wenn ich in der Früh bei meinem Schlafzimmerfenster raus schaue und mir Hildegard von Bingens Grünkraft in die Augen springt. Der Sommer ist jedes Jahr etwas ganz Besonderes, wenn auch mit einer Umstellung der täglichen Abläufe verbunden. Das ist auch Wandel, dieses Mal jener der Natur.

Heuer habe ich so viel wie nie in den Garten investiert. Und dabei rede ich noch nicht einmal von zugekauften Pflanzen oder Samen, obwohl die auch ein Budget auffrasen, das ich in den vergangenen drei Jahren nicht ausgegeben habe, als ich den Garten einfach machen ließ, wozu er lustig war. Vor allem habe ich Zeit und Liebe investiert, mir meine kleine Oase in der Stadt wieder zu einem erweiterten Wohnzimmer zu machen, durch das ich Tag und Nacht schlendern kann, während die Katze um mich herum tänzelt, im Gebüsch der Igel hustet und die unterschiedlichen Texturen der Wege meine Fußsohlen massieren. Dass ich auch heuer wieder das Gefühl habe, Dornröschen zu sein, hängt aber auch damit zusammen, dass ich bei dieser Hitze nahezu jeden Tag mit dem Gartenschlauch ausrücken muss. Und das ist eine logistische Herausforderung in zweierlei Hinsicht. Erstens sollte ich die richtige Tageszeit erwischen, denn wenn die Sonne hoch steht, laufe ich Gefahr, die Blätter meiner Mitbewohner zu verbrennen. Das wiederum macht notwendig, dass ich zeitig aufstehe, was ich per se schon sehr ungern tue. Ich bin eben auch im Sommer eine Nachteule. Andererseits lockt das abendliche Gießen die Schnecken aus ihren Verstecken, die sich bereits auch so über Mangold und Kohlrabi, Kürbis und Pak Choi hergemacht haben. An heißen Tagen nach einem Regenguss wuchte ich die Gießkannen in die Regentonnen und wieder heraus, um die Töpfe mit Flüssigkeit zu versorgen. Hat es länger nicht geregnet, muss der Gartenschlauch entwirrt werden. Und obwohl ich zwei Einheiten habe, die an unterschiedlichen Stellen des Gartens hängen, muss ich jede davon durch den halben Garten schleifen. Da knickt der Schlauch schon mal und ich muss zurück, während das Beet mit dem Immergrün überflutet wird. Warum? Weil sich das Spritzstück nicht abdrehen lässt. Oder ich breche beim Ziehen des Schlauches die Stiele der Fetthenne ab, die als eine der wenigen Pflanzen dem Garten auch im Herbst und Winter den Hauch von Blüten geben. Das Schilf ist biegsam genug, und trotzdem sind auch an dieser Stelle schon einige Halme dem Gartengießen zum Opfer gefallen. Mein Ex hat mir geraten, den Schlauch vorher auszulegen – habe ich getan, hat sich nicht sonderlich bewährt. Die Stiele der Fetthenne sind nur später gebrochen.
Da ich viele Fetthennen in meinem Garten habe, weiß ich, dass sie mit ihrem Blütenflor die gefährdete Schwester ausgleichen werden, und zur Not kann ich eine an einem etwas bescheideneren Standort umpflanzen. Ist also alles nur ärgerlich, aber nicht dramatisch. Was meinen Tagesablauf zudem verändert, ist die Beschattung meines Hauses. Denn wenn ich nicht zum richtigen Zeitpunkt die Rollläden herunter lasse, verbringe ich mein Dasein in einem Backofen. Also werden am Morgen die Fenster der Schattenseite aufgerissen, während auf der anderen Seite alles verdunkelt bleibt. Mit zunehmendem Fortschreiten des Sonnenstandes, kommen die einen wieder rauf und die anderen runter. Zwölf Rolläden werden also manövriert, was mir langsam, aber sicher zu definierten Oberarmen verhilft. Andere gehen ins Fitness-Studio, ich kurble. Auch hier ist Zeitmanagement wichtig, denn gehe ich aus dem Haus, muss ich mir vorher überlegen, wie die Beschattung zu sein hat, damit mein Dornröschen-Schloss angenehm temperiert ist.
Früher hatte ich zudem den Stressfaktor des Seebesuchs. Denn wer ständig Eintritt bezahlen muss, kommt bei den gestaffelten Preisen schon manchmal in Turbulenzen. Sie werden zwar billiger, je später man hinkommt; allerdings ist das kein exklusiver Gedanken, sondern der fällt vielen ein. Was bedeutet, dass man die Wahl hat zwischen einem teuren Tagesticket, obwohl man nur zwei Stunden Baden will, oder einer überfüllten Liegewiese, wo es keine Privatsphäre mehr gibt – weder akustisch noch physisch. Vor einigen Jahren hatte ich ja einen Verehrer, der immer zu mir aufs Handtuch wollte. Ich hielt das für den Beginn einer psychischen Störung. Heute weiss ich: das ist zum Trend geworden. Inzwischen verscheuche ich Menschen mit einem Blick über meinen Brillenrand, wenn sie die Zwei-Meter-Grenze rund um mich herum verletzen. Nennen Sie mich authistisch – ich stehe dazu. Wenn ich Kontakt zu Menschen will, sage ich das. Wenn nicht, möge man bitte in angemessenem Abstand Quizfragen diskutieren, Fast Food-Stände besprechen oder das Verhalten anderer bemängeln. Manche sind dabei so laut, dass ihre Stimmen sogar durch meine Kopfhörer dringen. Und das, obwohl sie nebeneinander auf ihre Matten liegen. Wie auch immer: seit letztem Jahr habe ich eine Saisonkarte und kann schon am Morgen am See sein, wenn sich der Andrang noch in Grenzen hält – allgemein und speziell rund um meine Badetasche.
Trotzdem mag ich den Sommer, die hellen Himmel, das kühle Wasser des Sees, an dessen Ufer ich arbeiten und gegebenenfalls eintauchen kann, wenn mir gerade wenig einfällt. Ich mag es, wenn die Sonne die Wassertropfen auf der Haut auftrocknen, ich den Zweigen von unten beim Schwingen zusehen kann und über eine kurze Strecke einem Flugzeug nachschauen darf, das einen Kondensstreifen hinter sich herzieht. Ich genieße den Lauf der Wolken, die lauen Nächte in einem Gastgarten, die leichte Kleidung – selbst wenn sie wie aktuell vorrangig am Körper klebt. Aber auf diese Weise lerne ich auch einmal dieses Wet T-Shirt-Gefühl kennen, das ich mir aus Anstandsgründen, eventuell wegen mangelnder Oberweite bisher versagt habe. Bei diesen Temperaturen wäre die einzige Alternative, in klimatisierte Räume zu gehen, was mir ein Graus ist. Lieber setze ich mich ins Auto, kurble (wieder einmal) die Fenster runter, zünde mir eine Zigarette an und höre laute Musik, während ich Gas gebe. Auch das ist Sommer für mich, und noch dazu ein ziemlich guter. Morgen sehe ich Rod Stewart – mehr geht fast nicht.

FREITAG: NICHT vergessen

Retrain your brain

Ich bin auf der Suche nach einem guten Mantra, weil ich etwas aus meinem Leben fernhalten möchte. Doch genau das ist die Krux: Mir fallen nur solche ein, die das Wort „ Nicht “ beinhalten.

Als meinungshartnäckiger Stier kann ich es gut nachvollziehen, dass das Gehirn stur dabei ist, nur „Ja“ zu akzeptieren. Wenn sich einmal etwas bewährt hat, dann gibt es meist wenig Grund, das zu ändern. Und weil eben die Programmierung auf Zustimmung betätigt wurde, kann das Hirn kein „nicht“ oder „kein“ verarbeiten. Im Grunde weiß ich das schon lange, und habe damit auch vermeiden können, dass die Kinder von den Bäumen gefallen sind. Denn statt „Fall nicht runter!“ habe ich „Sei vorsichtig!“ verwendet, und es hat funktioniert. Noch heute sprechen sie davon, und offensichtlich ist die Saat in ihnen aufgegangen.
Sie sind inzwischen größer als ich, und wenn jemand von einem Baum fallen könnte, dann wahrscheinlich ich. Vor allem deshalb, weil ich mich zunehmend dabei ertappe, formulativ faul zu werden. Und eben häufiger als früher das Wörtchen „nicht“ zu verwenden. Aufgefallen ist mir das eben bei dem Wunsch, ein neues Mantra zu finden. Der Gedanke dahinter war, dass ich etwas NICHT mehr in meinem Leben haben möchte und mich dahin gehend stärken möchte. Doch alles, was mir dazu eingefallen ist, beinhaltete dieses Wort. Und damit die Gefahr, dass genau das eintreten würde, was ich entfernen will.
Was mich dazu brachte, meine Denkweise unter die Lupe zu nehmen. Denn wenn mir nur verneinende Sätze einfallen, muss ich ein wenig um die Ecke grübeln. Oder ganz das Gegenteil. In die Richtung, was ich möchte und eben das vermeiden, was ich vermeiden möchte. Und das ist manchmal ganz schön schwierig, wenn man sich in einem leicht jämmerlichen Zustand befindet und höhere Kräfte darum bittet, etwas aus dem eigenen Leben zu entfernen. Doch die unterstützen einen meiner Meinung nach nur dann, wenn man bereit ist, den ersten Schritt selbst zu gehen. Und der beginnt eben mit einem ersten Satz, den man sagt oder schreibt.
Meine Gedanken gingen in Richtung „Weg versperrt“, „Türe zu“ und „draußen bleiben“. Doch irgendwie empfand ich das als ziemlich abweisend. Und auch wenn ich das im Grunde ja will, dachte ich mir, dass ich zu etwas anderem fähig sein müsste. Und da muss man dann noch einmal tiefer denken und sich überlegen, was man sich den für den Tag wünscht, wo das Mantra greift.
Ich möchte inneren Frieden bezüglich dieser Angelegenheit und seelische Balance. Und genau das werde ich auf bunte Zettelchen schreiben und im Haus verteilen. Doch vor allem sollte ich mir diesen Spruch als Bild auf den Sperrbildschirm meines Handys geben, denn von dort erreichen mich ab und an Informationen, die in meiner Welt unnütz sind. Sie davon abzuhalten, liegt außerhalb meiner Einflusskraft; sie aus meinem Kopf zu entfernen, allerdings schon. Und mit „Ich möchte seelische Balance“ wird es klappen.

FREITAG: Gegen die Zeitverschwendung

Home

Normalerweise bin ich durchaus der Meinung, dass man seine Ziele mit einer gewissen Hartnäckigkeit verfolgen sollte. Doch ab einem gewissen Punkt dreht sich diese Zielstrebigkeit in Zeitverschwendung.

Aufmerksame LeserInnen meiner Beiträge werden vielleicht schon gemerkt haben, dass ich seit einigen Jahren nach Weihnachten die Flucht gen Süden ergreife. Weil ich Wärme brauche, aber auch Distanz zum Alltag und natürlich Tapetenwechsel. Und genau diese Punkte lassen mich bereits ab dem Spätfrühling durch diverse Flug- und Hotelportale surfen, um diese Reise zu einem möglichst annehmbaren Preis zu bekommen.

Also habe ich mit meiner Recherche begonnen, denn die Erinnerung an kalte Temperaturen steckt mir noch in den Knochen – der heiße April, den wir letztes Jahr hatten, machte ja heuer Pause. Und ich muss gleich vorausschicken, dass ich es liebe, Reisen zu planen. Denn die Aussicht auf Meer, eine andere Mentalität und Begegnungen mit Menschen versetzen mich normalerweise immer in einen inneren Höhenflug.

Meine Reiseziele waren wirklich bunt gemischt: Südafrika, Tansania (ja, ich war soweit, es wieder einmal zu versuchen), Oman, Sri Lanka, sogar an die Malediven und Seychellen hatte ich gedacht. Die zweite Wahl wäre Marokko oder Macao gewesen. Man kann also nicht sagen, dass ich mich auf ein einzelnes Reiseziel kapriziert hätte. Ich begann meine Recherche mit Tansania und stellte fest, dass die Flüge dorthin weit über dem Budget liegen, das ich mir vorgestellt und auch gewohnt war. Deshalb schaute ich mir etwaige Unterkünfte erst gar nicht an. Die zweite Option war Südafrika, das ich dieses Mal von Osten nach Westen erkunden wollte. Die Flüge waren im Bereich des Möglichen, die Unterkünfte waren es nicht. So ging es mir auch im Oman – und das, obwohl ich dort in einem Hotel vermutlich relativ günstig untergekommen wäre. Doch in einen Ort, der sehr nahe am Jemen liegt, fahre nicht einmal ich.

Ähnliche Erfahrungen machte ich mit den restlichen Reisezielen. Und irgendwann einmal um 2 Uhr nachts dachte ich mir: „Dann soll es eben nicht sein.“ Ich gebe zu, es schwang ein trotziger Unterton in meiner inneren Stimme, denn ich fühlte mich ein bisschen ungewollt. Irrational, ich weiß. Doch dann setzte ich mich an meinen Teich und ließ mich vom lauen Nachtwind bürsten. Es dauerte nicht lange, bis ich akzeptierte, dass ich in all den Stunden, die ich bezüglich Reiseplanung vor meinem Laptop verbracht hatte, meine Zeit verschwendet hatte. Und das aus dem simplen Grund, weil ich gerade in diesem Bereich den Wandel nicht akzeptieren wollte.

Ich ging auch zurück zu den eigentlichen Wurzeln meines Silvesteraufbruchs, die darin lagen, dass dieser Tag eine unliebsame Erinnerung in mir getriggert hatte. Und der ich in einer fremden Umgebung besser ausweichen konnte als zuhause. Doch als ich so vor mich hin saß, stellte ich fest, dass mir diese Erinnerung nichts mehr ausmachte. Und dass es offensichtlich – nach heutigem Stand der Dinge – so sein soll, dass ich den Jahreswechsel zuhause verbringen werden. Die Tatsache, dass ich mich daheim derzeit so wohl wie nie fühle, unterstützt diese Entscheidung und lässt mich aufatmen. Denn das lange Recherchieren hatte doch einen gewissen Druck aufgebaut, der mir jetzt von den Schultern gefallen ist. Und wie heißt es so schön: „Wenn man loslässt, hat man beide Hände frei.“ In meinem Fall war das die Tastatur, die ich zwar aufgrund meines Berufes nicht ganz lassen kann. Nichtsdestotrotz kann ich privat Abstand davon nehmen, und das gedenke ich um den Jahreswechsel herum auch zu tun. Auf den weiteren Wandel zu warten, ist schließlich an jedem Punkt dieser Welt spannend.

FREITAG: Sie machen das schon!

Nicht, dass ich es drauf anlegen würde, aber ich weiß genau, wie ich meinen Vater am Sonntag auf die Palme bringen kann. Dabei finde ich, dass es nur fair ist, nach dem Mutter- auch einen Vatertag zu feiern.

Sowohl der Valentins- als auch der Vatertag verursachen bei meinem Erzeuger im besten Fall gelindes Kopfschütteln. Ersteres vermutlich deshalb, weil er meiner Mutter eh das ganze Jahr über Blumen schenkt und die Geschäftemacherei eklig findet. Doch was er gegen den Vatertag hat, erschließt sich mir bislang nicht. Denn soooo viel Geld kommt dabei jetzt nicht wirklich rum.

1955 wurde der Vatertag eingeführt, und ich sehe, wie ein 17jähriger Schüler anderes im Kopf hat, als meinen Großvater zu beglückwünschen. Aber vielleicht tue ich ihm Unrecht, und er hat tatsächlich eine Karte geschrieben. Von Whatsapp war man damals ja Welten entfernt, und das war und ist ja nicht immer das Schlechteste. Als er selbst Vater wurde, haben wir das schon begangen, allerdings verlässt mich mein Erinnerungsvermögen, wenn ich darüber nachdenke, ob er sich damals schon gewehrt hat. Oder es war mir egal, weil es mir wichtiger war, meiner Liebe Ausdruck zu verleihen.

Und das ist bis zum heutigen Tag so geblieben – wie beim Muttertag auch. Nicht, dass ich meinen Eltern sonst zu wenig Aufmerksamkeit angedeihen lassen würde, im Gegenteil. Ich fühle mich ihnen sehr nahe, auch wenn ich das für ihre Verhältnisse manchmal etwas verquer zeige. Meine Mutter wehrt sich gegen den zweiten Maisonntag im Jahr nicht, ihr Mann gegen den zweiten Juni-Sonntag schon. Und auch wenn ich in meiner verqueren Art und Weise beide Tage nicht mit ihnen verbringe, denke ich trotzdem an ihre Errungenschaften als Begleiter ins Leben. Die Beobachtungsgabe meiner Mutter, gepaart mit einem fundamentalen Gespür für Schönheit und überbordender Fürsorge einerseits und die Anleitung zum Analysieren und Probleme lösen, zusammen mit Genussfähigkeit und Neugierde andererseits – geht’s besser? Kaum.

Beides möchte ich würdigen (dürfen). Und um nichts anderes geht es meiner Ansicht nach, wenn man schon Tage wie diese ausruft. Dass davon andere monetär profitieren, kommt vielleicht daher, weil wir heutzutage unsere Zuneigung vielfach in Form von Geschenken ausdrücken. Dabei ist in einer Welt des Konsums gerade Zeit das wertvollste Gut, auch und vor allem dann, wenn Vater und Mutter im fortgeschrittenen Alter sind. Natürlich ist es bequemer, einen Blumenstrauß zu schicken, wahlweise eine Bohrmaschine, statt sich damit zu konfrontieren, dass sich auch die Eltern verändern. Was wiederum eine Auseinandersetzung mit dem Kinder-Ich erfordert, das sich nur schlecht damit abfinden kann. Ich arbeite mich superleidenschaftlich daran ab, wenn auch nicht gerne. Und komme doch immer wieder an den Punkt, wo ich mich am Zügel reiße und mir denke: „Sie machen das schon!“

Und so ist Vater- und Muttertag für mich auch ein Erinnerungstag. Nicht nur an alles, was meine Eltern für mich getan haben, um mir dieses Leben zu ermöglichen. Sondern auch für mich, um mir immer wieder vor Augen zu halten, dass jede/r das Recht auf die Entwicklung hat, die ihm sinnvoll erscheint. Ob mir das gefällt oder nicht, ist sekundär. Und wer weiß, wie ich mein Leben sehe, wenn ich mit einer meiner ältesten Freundinnen in der Senioren-WG sitze und wir noch nicht einmal mehr die Gesprächsthemen-Liste lesen können, die wir vor Jahrzehnten angelegt haben. Vielleicht schauen wir uns die Läuse auf den Geranien an und finden das ganz wunderbar. Weil sich im Kleinen ja immer auch das Große spiegelt. Und das lerne ich gerade auch von meinen Eltern. Manche Dinge werden mit der Zeit einfach nebensächlich. Fast freue ich mich darauf.

FREITAG: Zwischen Verrat und Veganismus

Magazine

Manchmal braucht man Impulse, um ins Schreiben zu kommen. Das kann eine Mindmap sein oder wie in meinem aktuellen Fall das Kaufen von drei Revolverblättern und einer Schmuddelzeitung. Und nein, ich brauchte das nicht, um DIESEN Text zu schreiben.

Die Idee hinter dieser Schreibübung war der Gedanke, aus seiner eigenen Ausdrucksweise einmal herauszutreten. Denn oft siedet man als Schreibender ja im eigenen Saft und wundert sich dann, warum alles so zäh ist. Insofern war ich Julia Cameron – wieder einmal – dankbar, dass sie mich dazu aufgefordert hat, diesem Impuls zu folgen.

Die Trafikantin, die mich normalerweise immer irgendwelche philosophischen, wahlweise spirituellen Hefte abholen sieht, schaute mich mit erhobenen Augenbrauen an. Nicht leicht erhoben, sondern fast schon bis zum Haaransatz. Ich murmelte etwas von „beruflich“ und rollte die Zeitschriften zusammen, damit das mit den Augenbrauenheben nicht zur Seuche wird in meinem Stadtteil. Die Übung leitete dazu an, dass man sich von den Geschichten in den Revolverblättern inspirieren lassen und ausschneiden sollte, was einen besonders inspiriert und/oder berührt. Gut gerüstet, mit Schere und Kleber zum Festhalten in einem Notizbuch ausgestattet, überflog ich zuerst eines die Titelblätter. Es ging um Schummelbilder des weiblichen Körpers, Liebesgeschäfte und Familienzoff. Und das berührt oder inspiriert heutzutage Menschen?

Als ich dann nach dem ersten Anfall von exzessivem Kopfschütteln doch die Hefte durchblätterte, bekam ich gleich den nächsten. Eine Zeitschrift hatte in ihrer Inhaltsangabe sogar den Übertitel „Inspiration“ stehen, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Doch ist „Eis am Stiel zum Dahinschmelzen“ tatsächlich eine Inspiration? Und vor allem wofür? Allerhöchstens für Menschen, die dem abgepackten oder Kugel-Eis aus der Diele nicht trauen. Doch vermutlich braucht man ein Eis, wenn man sich durch Hochglanzfotos von Preisverleihungen, vorbei an Zickenterror und nachehelichem Bonding bis hin zu Skandal-Liaisonen und mordenden Müttern gekämpft hat. Da ist ein Eis wohl das mindeste, könnte man sich denken. Aber nein, politisch korrekt, wie heutzutage offenbar auch schon Revolverblätter zu sein haben, fand man auch noch eine Anleitung zum veganen Leben. Spielt sich unser Leben tatsächlich zwischen Verrat und Veganismus ab?

Das nächste Heft – das mit den Schummelkörpern auf dem Titel – bot jede Art von Inspiration insofern, wie man sich als Frau verbessern könnte. Ich musste an den Film „Embrace“ denken. Er erzählt die Geschichte einer Frau, die sich jahrelang an ihrem Körper abgearbeitet hat und nach der Teilnahme an einem Bodybuilding-Wettbewerb beschloss, die Trainingszeit lieber für etwas zu verwenden, was ihr WIRKLICH Spaß macht. Gesagt, getan. Sie verlor ihre definierten Muskeln und postete ein Vorher-Nachher-Bild auf Facebook. Vorher: Bodybuilder-Körper. Nachher: glücklicher Frauenkörper. Das schoss durch sämtliche sozialen Netzwerke und brachte ihr neben unzähligen grausligen Reaktionen auch Geschichten von Frauen, die genau darunter leiden. Darunter nämlich, dass wir in Zeitschriften wie den vorliegenden erzählt bekommen, wie wir zu sein haben. Auf jeden Fall sind wir nicht genug, da ist noch Luft nach oben, da geht schon noch was. Ich lese: „Falten? Haben wir nicht, kriegen wir nicht!“ Geht’s noch? Jaaaaaaa, sagen die Redakteurinnen und schlagen für Frauen in meinem Alter Ampullen, Masken und Seren vor, prall gefüllt mit Vitamin E, Hyaluronsäure, Retinol und was es sonst noch als Schnäppchen zu erstehen gibt. Eine dieser Masken ist um wohlfeile 59 Euro zu haben. Die lasse ich persönlich lieber auf dem Urlaubskonto und schaffe mir damit ein Stück Erinnerung.

Und auch wenn ich früher gerne die Yellow Press im Gepäck hatte, wenn ich einen Flieger bestieg, merke ich genau daran, dass das ganze Anti-Aging bei mir gar nix hilft. Denn ich bin froh darüber, dass ich Vermutungen, Spekulationen und Vorwärtspeitschungen getrost im Zeitschriftenregal lassen kann. Weil ich nämlich mit den Spuren, die mein buntes Leben Tag für Tag hinterlässt, glücklich bin. So tun, als wäre nichts passiert in den über 50 Jahren? Was für eine Niederlage! Und das sollte man auch Promis zugestehen. Daraus Skandalgeschichten zu basteln, mag zwar kreativ sein, doch sie als Tatsachen hinzustellen, halte ich für verwegen. Insofern gehört der Zoff zwischen Kate und Meghan, das heimliche Telefonat zwischen Florian und Helene oder der Streit um Doris‘ Erbe wohl eher in die Belletristik-Ecke. Und damit hat sich Julia Camerons Schreibimpuls schon wieder voll ausgezahlt.

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