FREITAG: All-ein-Sein im Alleinsein

All-ein-Sein im Alleinsein – Meine älteste Freundin wird Oma. Wir waren 16, als wir uns im Bus zur Schule und Arbeit kennengelernt haben. Damals hatte sie mehr als ich die Sehnsucht nach Leben in ihren Augen – meine waren so verschlafen, dass ich sie mehr hörte als sah.

Das ist bis heute so geblieben. Wir sehen uns seltener als wir telefonieren, und doch teilen wir die Meilensteine unseres Lebens miteinander. Immer wieder faszinierend finde ich, wie sich zwei Leben so unterschiedlich entwickeln und trotzdem in den wesentlichen Punkten parallel verlaufen können. Sie hat ihr bisheriges Leben in den Bergen verbracht, ich bin davor geflohen. Sie hat drei Kinder geboren, geheiratet und das Gegenteil getan. Ich habe mir meine drei Kinder schenken lassen, in wilder Ehe gelebt und diesen Zustand gewandelt. Viele Faktoren hätten dafür gesprochen, dass sich unsere Wege trennen in den vergangenen fast 40 Jahren. Und doch hat sich eine tiefe Verbundenheit entwickelt, die alle äußeren Umstände hinfällig gemacht hat. Unwichtig. Irrelevant. Die gemeinsame Zeit ist nach wie vor gefüllt mit Lachen, Spiritualität, geteilten Herausforderungen und Bestärkungen.

Jetzt wird sie also Oma. Ihr Ältester und seine Partnerin erweitern das Paarleben mit Hund um ein Zwergerl. Und das in einem Moment, wo meine Freundin gerade ein neues Kapitel ihres Lebens aufschlägt und eine Ausbildung begonnen hat. Meine Sorge, dass sie in den Kümmer-Modus zurückgeworfen werden könnte, beantwortet sie mit „Ich werde das Kind verwöhnen, erziehen sollen es die Eltern.“ Sehr entspannt finde ich das, doch das ist die Aura meiner Freundin, wenn sie bei sich ist. Dass das nicht allzu oft vorgekommen ist in ihrem Leben als dreifache, alleinerziehende Mutter, ist jedem klar. Und doch kann sie es unglaublich genießen, wenn sie Zeit mit sich selbst verbringt. Denn Alleinsein bedeutet für sie alles andere als Einsamkeit.

Auch darin sind wir uns einig. Denn wir sind in einem Alter, wo wir endlich bereit sind, uns um uns selbst zu kümmern. Das richtig herbeisehnen, wenn uns wieder einmal das Leben dazwischen kommt. Und immer wieder einen neuen Anlauf nehmen, um dieses Territorium zu erobern oder gegenüber dem Leben zu verteidigen. Es ist wirklich faszinierend, wie viele Frauen ich in meinem Leben haben, die sich permanent um andere kümmern und deren Bedürfnis nach Selfcaring mit jedem fremden Problem wächst. Hat das damit zu tun, dass sich gleich und gleich gerne gesellt? Die eine kümmert sich um ihre Tochter, obwohl die durchaus im Stande wäre, selbst für gewisse Dinge Verantwortung zu übernehmen. Eine andere zerspragelt sich zwischen Karriere, Ehe und alleiniger Existenzsicherung. Wieder eine andere hat das Gefühl, ihren fragilen Mann hinten und vorne betüteln zu müssen, obwohl sie lieber ein Buch lesen würde. Und eine vierte versucht aktiv, ihre Aufmerksamkeit vom Kümmern aufs Kontemplieren zu richten und doch hin und wieder Urlaub von der Familie zu nehmen.

Meine Herausforderungen sind meistens externer Natur. Denn aus der Lücke in meinem Leben, die ich vor fünf Jahren nach dem großen Umbruch erwartet hatte, ist ein Wühltisch geworden. Ich LIEBE Wühltische, weil man nie weiß, was man findet. Für mich als grundneugierigen Menschen ist das hochspannend. Ich bin sowieso der Meinung, dass man das bekommt, was einen weiterbringt. Doch wenn ich beispielsweise auf die letzte Woche schaue, sehe ich sehr viel Kümmern und wenig Selfcaring. Lange war mir einer der wichtigsten Beweggründe für meine weiten Reisen nicht bewusst, nämlich der Drang, endlich ausschließlich für mich selbst und meinen inneren Frieden zu sorgen. Da ich heuer ja (vorläufig) beschlossen habe, keine halbe Weltreise zu machen, werde ich wohl andere Wege finden müssen, das zu gewährleisten. Denn ohne Alleinsein geht es nicht mehr. Auch bei meinen Freundinnen nicht. Nicht, weil wir alle miteinander misanthropisch geworden wären – die Sehnsucht nach dem Andocken an unser Innerstes wird nur offenbar mit zunehmendem Alter immer wichtiger. Und es ist schon was Wahres dran, am „Aus der Ruhe kommt die Kraft“. Ist man bei sich, fällt auch die Beschäftigung mit anderen Menschen im Leben leichter. Weil man sich entspannt und aus der Mann-im-Mond-Perspektive anschauen kann, wofür man zuständig ist und wann man andere machen lassen kann. Und darf. Aber machen wir uns nichts vor: Es ist ein steter Bewusstseinsprozess, der noch weit davon entfernt ist, ein Automatismus zu werden. Doch es wird schon, Schritt für Schritt.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung