FREITAG: Alles eine Frage der Perspektive

Für viele wird die Durststrecke langsam lang. Einsamkeit macht sich breit, Langeweile sowieso und auch Hoffnungslosigkeit. Schreib was Optimistisches, rät mein Vater.

Heute Morgen dachte ich mir zum ersten Mal wieder, dass ich meinen Medienkonsum zurückschrauben sollte. Nicht nur dass mir diese eine Stunde in meinem Alltag fehlt. Es nimmt auch meine Gedankenwelt voll und ganz in Anspruch. Dabei bin ich der Meinung, dass es durchaus anderes gibt, worüber man nachdenken und was man machen kann. Doch das aktuelle Thema hat sich anscheinend wie ein Schleier über die mentalen Mikrokosmen gelegt. Und das dämpft vor allem eines: die Zuversicht.

Meine schottische Freundin ist gerade auf dem 5G-Trip. Dort kursieren Meldungen (die ich übrigens bei uns auch schon mitgekriegt habe), dass diese neue Technologie mitschuldig an unserem aktuellen Zustand sein soll. In ihrer Welt zählt sie eins und eins zusammen: Vor ihrem Haus wird die Straße aufgegraben, obwohl sie vorher absolut intakt war. Die Vögel haben aufgehört zu singen, und auch die Müdigkeit kann unmöglich von mangelndem Schlaf kommen. Alles, was ich ihr antworten konnte, war: Ich weiß nicht, ob 5G damit etwas zu tun hat oder nicht. Und wenn sogar unser Bundeskanzler zugibt, dass er nicht weiß, wie es weitergehen wird, kann man natürlich in kollektive Hilflosigkeit verfallen.

Umso wichtiger scheint es mir, zur Wurzel dieser Hilflosigkeit vorzudringen. Sie entstammt ja dem Gefühl, dass wir nichts machen können, sprich irgendwie die Kontrolle über unser Leben verloren haben. Doch da bin ich absolut anderer Meinung. Klar, wir müssen andere verpflichtend davor schützen, vor dem Gewürzregal des Supermarkts angeniest zu werden. Dass wir dazu verpflichtet werden müssen, spricht meiner Meinung nach schon Bände. Ein Immunologe hat kürzlich gesagt, dass wir vor allem eines in den vergangenen Jahren vollkommen aus den Augen verloren haben, nämlich Hygiene. Aber gut – jetzt werden wir wieder daran erinnert. Ich kann mich nun daran stoßen, dass ich mit angelaufener Brille durch den Supermarkt kurve; ich kann aber auch endlich die Nicki-Tücher meiner Großmutter umbinden und mit der Attitüde eines groovy gangsters meine Gurken einsammeln. So viel Handlungsspielraum haben wir noch.

Ich kann mich natürlich ganz der Nachrichtenlage hingeben, die im Vergleich zur vergangenen Woche endlich auch von Gesundungen spricht, endlich zwischen Kranken und Infizierten unterscheidet. Und doch nur Bilder davon zeigt, wo Menschen überfordert, krank und verzweifelt sind. Das erzeugt Stress durch Hilflosigkeit, den wir in der aktuellen Lage wirklich in keiner Weise gebrauchen können. Und doch können wir etwas tun, egal, ob es von Erfolg gekennzeichnet ist oder nicht. Zum Beispiel den Anordnungen Folge leisten. Und uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass wir nicht im Gefängnis sitzen. Wir dürfen an die frische Luft, uns dort bewegen, die Sonne auf unserer Haut spüren, uns an den Knospen vielerorts freuen. Wir können uns gesund ernähren, vor allem endlich einmal mit Muse kochen und neue Rezepte ausprobieren. Wir haben ein schier unerschöpfliches Angebot im Internet, das uns anspornt, Neues zu lernen oder einfach nur Spaß zu haben. Oder die Freiheit, einfach nur zu sitzen und an einem virtuellen Meditationskurs teilzunehmen. Wir sind frei, mit wem wir Kontakt halten oder neu aufnehmen. Mit wem man mit, mit wem ohne Kamera telefoniert und mit wem gar nicht. Mit wem man Ängste teilt und mit wem Hoffnung. Wen man inspirieren kann und wer einen inspirieren kann. Das sind alles Entscheidungen, die wir nach wie vor und sehr aktiv treffen können.

Und was 5G angeht: Ich erinnere mich, dass es ganz viele Bürgerinitiativen gegen Handymasten gegeben hat, als die sich im Aufschwung befanden. Die waren einfach Teufelszeug, und doch gibt es inzwischen nur mehr wenige Menschen, die mit einem reinen Tastenhandy zufrieden sind. Verstehen Sie mich richtig: Ich will weder gegen noch für 5G argumentieren, ganz einfach, weil ich es nicht weiß. Was ich allerdings seit Jahren proaktiv mache, ist, mein Handy und den Router über Nacht einfach auszuschalten und das Schlafzimmer frei von irgendwelchen Strahlen zu halten. Und was außerhalb meines Schlafzimmers auf mich einstrahlt, kann ich eh nicht kontrollieren.

Womit ich zum letzten Punkt komme: die weitverbreitete Illusion, alles „im Griff zu haben“. Die jetzige Zeit zeigt uns genau das Gegenteil. Dass wir eben nicht bis zur letzten Konsequenz unser Leben kontrollieren können. Und wir können es uns aktuell noch nicht einmal einreden. Weil es eben eine höhere Instanz gibt, die uns vorschreibt, was wir zu tun oder zu lassen haben. Gehen wir allerdings noch eine Ebene höher, hat es diese höhere Instanz immer schon gegeben – egal, ob wir sie nun Schöpfer, Allah oder Universum nennen. Von dort kamen schon immer andere Impulse, als wir sie uns vorgestellt, erhofft oder gewünscht hatten. Nur nannten wir es dann eben Zufall oder Schicksal. Doch in jedem einzelnen dieser Fälle hätten wir merken können, dass die hundertprozentige Kontrolle eben eine Illusion ist. Das unter „normalen“ Umständen ins Dasein zu implementieren, wäre einfacher gewesen als jetzt, weil wir ja „nicht anders können“, wahlweise „dazu verdammt sind“. Doch es ist nicht zu spät, der Situation diesbezüglich etwas Positives abzugewinnen. Denn die höhere Instanz hat unendlich viel Geduld mit uns und unserem Lernprozess. Und wenn wir diesen proaktiv und optimistisch gestalten, profitieren wir auch nach dem Ende des Istzustands von dieser Erfahrung. Darin liegt für mich eine ganz große Hoffnung. Bleiben Sie gesund!

 

 


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