Fast scheint es mir, als hätte ich im Vorfeld meiner „Kreativitätstechniken“-Workshops stets selbst eine Schreibblockade. Was gut ist, weil ich so sehr an die Erlebniswelt meiner Teilnehmerinnen anknüpfen kann.
Im Grunde weiß ich es ja schon, wenn ich meinen Laptop anschalte: Heute wird’s schwierig. Woran ich das merke? Mein erster Click gilt Youtube, und daran erkenne ich seit heute, dass ich doch zu den Junggebliebenen zähle. Denn eine deutsche Studie hat herausgefunden, dass junge Leute unter der Woche durchschnittlich drei Stunden auf dem Streaming-Dienst verbringen. Wenn ich also bereits nach dem ganzen Anmeldeprozedere auf den weißen Pfeil in rotem Feld klicke, bin ich gleich 40 Jahre jünger. Was schön, aber nicht zielführend ist, wenn frau schreiben soll.
Jetzt will ich nicht sagen, dass ich vor 40 Jahren leichter geschrieben hätte. Theoretisch schon, praktisch hat mir damals mein Deutschlehrer in die Karten gespuckt. Seine Forderung, vor einer Erörterung eine Gliederung zu schreiben, hat mich derart blockiert, dass ich beschloss, sie danach zu schreiben. Leider hat er das irgendwann einmal durchschaut und mir alleine deshalb eine schlechtere Note gegeben, als mein Text es verdient hätte. Inzwischen weiß ich, dass Karma sich um ihn gekümmert hat, was das Schreibtrauma von damals lindert, das jetzige aber auch wenig befeuert.
Ich übertreibe natürlich – Schreibtraumata zu haben, wäre mein absoluter Untergang. Mich ohne Worte wiederzufinden, die ausdrücken könnten, was ich mir denke, was ich fühle oder wie ich die Welt wahrnehme, kommt in meinem Lebensplan einfach nicht vor. Doch vielleicht sollte ich mich darauf einrichten. Gestern habe ich nämlich ein Interview zum Thema Midlife Crisis geführt und eine Erkenntnis daraus: Es ist völlig normal, wenn uns statt eines bestimmten Wortes nur „Dings“ einfällt. Wenn ich auch nur einen Satz auf diese Weise durchexerziere, würde er wie folgt lauten: „Dings zu haben, wäre mein absoluter Dings.“ Oder: „Mein erster Dings gilt Dings.“ Oder: „Praktisch hat mir damals mein Dings in die Dings gespuckt.“ Da will man doch sofort mit Gehirnjogging oder ähnlichem beginnen, damit man sich und der Umfeld dieses Gestammel erspart.
Fakt ist laut meinem gestrigen Interview-Partner, dass die Midlife Crisis auch daher kommt, weil man sich der eigenen Endlichkeit bewusst wird. Und er hat mir dazu einen mittelalterlichen (!) Mystiker genannt, der schon damals vier Fallen für die Lebensmitte definiert hat. Die erste Falle ist der ständige Zorn gegen das Alter und das alternde Ich. Wenn ich mich also permanent darüber aufrege, dass ich beim herabschauenden Hund auf faltige Knie schaue, zum Beispiel. Nicht gesund, sagt der Mystiker. Die zweite Falle ist der Rückwärtsgang, also die Nostalgie. Natürlich verfange ich mich manchmal in Erinnerungen, doch ehrlich gesagt, will ich mit meinem jüngeren Ich nicht tauschen. Mit der heutigen Erfahrung vielleicht, aber so völlig ahnungslos noch einmal durch alles durchmarschieren? Nein danke! Die dritte Falle ist das Abheben und meint damit zum Beispiel, wenn man(n) sich eine jüngere Frau oder eine Harley anschafft, frau sich vielleicht zu einer Gesichtsstraffung entschließt. Mir ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass ich ausreichend Lachfalten habe und die Mundwinkel schön in der Balance bleiben. Straffer muss da nichts sein, außer vielleicht das Zeitmanagement. Aber das ist ein anderes Thema. Und last but not least hat der mittelalterliche Mystiker das ausschließliche Sitzen auf dem Sofa als Falle identifiziert. Also wenn man etwa lieber mit dem Fernsehstuhl verschmilzt als unter Leute zu gehen. Ich versuche das ja immer, aber erstens habe ich keinen Fernsehstuhl, zweitens weiß ich aktuell weniger denn ja, warum ich NICHT fernsehe. Und drittens halte ich es sowieso nicht lange im Fernsehstuhl aus, weil immer etwas Spannendes zu tun oder zu erleben ist.
Das Beruhigende an diesen Erkenntnissen: Offensichtlich liegt die Midlife Crisis noch vor mir oder bereits hinter mir. Vermeiden sollte man sie auf gar keinen Fall, sagt der Experte. Denn jede Krise ist eine Chance. Bedeutet das vielleicht sogar, dass ich in einer Dauerkrise stecke, weil ich ungern Chancen verstreichen lasse? Dass ich die Midlife Crisis praktisch übertünche mit Hyperaktivität? Dass das schlecht für die Bewältigung dieser Jahre ist, sagt der Experte nicht. Also bin ich wohl auf dem richtigen Weg. Auch was meinen Kreativitätstechniken-Workshop angeht. Denn die heutige Schreibkrise habe ich erfolgreich überwunden.
Die gesprochene Version dieses Textes finden Sie auf www.voll50.com/category/podcast
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