FREITAG: Flucht in den Frieden

Jetzt ist er schon wieder weg, der Schnee, der das Weihnachtsfest doch immer wieder mit Sanftheit versehen hat. Zurück bleibt vorerst eine kalte Nässe, die unter die Pullis kriecht und die Sehnsucht nach einem Lagerfeuer ins Kraut schießen lässt. Doch wen wollen wir dort versammeln?

Seit langem habe ich heute wieder einen Tag, an dem ich so gut wie niemanden sehe. Die Katze zählt nicht, doch selbst die hat sich in ihrem Kellerkarton verkrochen und stellt sich tot. Jetzt ist das aktuell für mich keine Option, weil meine Familie einen weiteren Verlust schwer verkraften könnte. Und doch muss ich gestehen: ein Vogel Strauß wäre ich doch ganz gerne, auch wenn mir der Sand, in den ich meinen Kopf stecken möchte, zu ungemütlich wäre.

Fliehen möchte ich vor Entscheidungen. Zum Beispiel würde ich gerne den jährlichen Tannenbaumtanz durch eine Lösung ersetzen, die mich aus dem Karussell der Jagd um einen halbwegs erschwinglichen Christbaum rausnimmt. Ich rede jetzt nicht von einem falschen grünen, sondern einem immergrünen. Einen, den ich jedes Jahr neu schmücken kann, nachdem ich ihn aus Holz zusammengebaut habe. Doch Pippi, die ich bin, dachte ich, dass es ganz leicht wäre, so etwas zu finden. Irrtum! Mein Vater und ich wollen auf gar keinen Fall auf Kerzen verzichten, die bei uns in antiquierten Haltern normalerweise am Zweig befestigt werden. Doch wenn der immergrüne Christbaum keinen Zweig mehr hat, sondern nur mehr eckiges Holz anbietet, fallen die Christbaumkerzen buchstäblich flach. Und auch wenn ich die schicken Alternativen mit Lichterketten und LED-Lämpchen ganz fancy finde: NEIN! Alternativ dachte ich auch noch darüber nach, einen Christbaum aus meinen Büchern zu bauen. Doch hier stellt sich die gleiche Herausforderung: Wohin mit den Kerzen! Also: Entscheidung vertagt.

Fliehen möchte ich vor dem Wetter. Ein Ticket habe ich bereits. Doch wie – ich glaube, es war letztes Jahr – fühle ich mich (bislang) diskriminiert. Ich darf nämlich als österreichische Staatsbürgerin nicht in den Flieger. Flucht per Flug scheint derzeit unmöglich, mein Ältester hat schon einen Zauber ausgesprochen, was aber voraussetzt, dass ich aufhöre, mich an diesem Thema gedanklich abzuarbeiten, damit das Universum ungestört daran arbeiten kann. Und das fällt mir wirklich schwer, weil ich ja fliehen möchte und ganz dringend ein zumindest gedankliches Ziel für meine Vorfreude brauche.

Fliehen möchte ich auch vor den Geistern, die ich rief. In einer Zeit, die gut dafür war, mich dem zu widmen, was Freude schenkte. Doch da hat sich ein ganz eigenartiger Mechanismus breit gemacht: Ich habe mir so viel Arbeit geschaffen, die mir Freude schenkt, dass ich die Freude schon gar nicht mehr spüre. Weil ich gar keine Zeit mehr dafür habe, mich zu freuen. Und das ist natürlich schon bedenklich, denn wofür lohnt es sich denn mehr, Zeit einzuräumen, als für dieses innige Gefühl, dass man in seinem Leben angekommen ist? Wie gesagt, meine eskapistischen Impulse werden immer mehr, je länger dieses Jahr dauert.

Mit dem heutigen Tag sind es 16 Tage, in denen ich einen Weg finden muss und will. In denen ich mich mit mir selbst einigen muss, wie viel Action mein Leben verkraftet. Und vor allem: Wie wichtig nehme ich die Zeit der Regeneration, ohne die es mit voll50 einfach nicht mehr geht? Was ich scheinbar immer noch nicht gelernt habe, ist, NEIN zu sagen im Außen, weil ein JA im Innen dringend nötig ist. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein Weihnachtsfest voller JAs für alles, was Ihnen gut tut, Frieden schenkt und ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Ich melde mich im Januar wieder – frohe Weihnachten!

Die gesprochene Version dieses Textes finden Sie auf www.voll50.com/category/podcast


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