FREITAG: Freiheit für die Jugend

Aufruhr auf den Innenstadtstraßen. Die Jungen rebellieren gegen neue C-Regeln. Und schwuppdiwupp, werden sie verschärft. Da sagt noch einer, dass die Politik träge reagiert.

Meine wilde Mutter rüttelt mich aus meiner Morgenmeditation und erzählt mir ihre Erlebnisse aus dem Krankenhaus, das sie wegen einer gebrochenen Schulter frequentieren musste. Nicht nur, dass sie sich in ihrem Mehrbett-Zimmer Geschichten anzuhören hatte, die man manchmal noch nicht einmal lesen mag; sie wurde auch mit der Abneigung älterer Menschen gegenüber der Jugend konfrontiert. Und wenn ich mich an einen kurzen Videobeitrag vom vergangenen Wochenende erinnere, kann ich das sogar nachvollziehen.

Junge Leute hatten gegen die seit Montag geltenden verschärften C-Regeln Rambazamba gemacht, in der Nacht und mitten auf den Innenstadtstraßen. Die Polizei rückte aus, die Journaille natürlich auch und heraus kamen Statements, wo man sich fragte: „Ist Grammatik out oder ganze Sätze zu sprechen, inzwischen unmodern?“ Ein Freund fragte sich, ob man nicht auch solche mit einem höheren Schulabschluss als Hauptschule befragen hätte können. Jetzt gibt es ja hierzulande gar keine Hauptschulen mehr, sondern nur mehr Mittelschulen. Und so oder so: Es ist nicht alles schlecht. Was wirklich ausgedrückt werden wollte, ist allerdings schon, dass man auch junge Menschen vors Mikro bitten hätte können, die einigermaßen reflektiert sind.

Eine Freundin beklagt ja, dass selbst ein Großteil der Erwachsenen das Wort Reflexion vielleicht buchstabieren kann, aber bestimmt nicht im aktiven Wortschatz hat. Wie und wo soll es also der Nachwuchs lernen? Erfahrungs- und Beobachtungslernen ist ein immerwährender Prozess, und wenn mit jungen Menschen nicht gesprochen wird, sie nicht angeleitet werden, auch einmal andere Standpunkte einzunehmen (und sei es auch nur theoretisch) – woher sollen sie Reflexion denn kriegen? Eine andere Freundin erzählt, dass ihr 14jähriger Sohn im Vergleich zu anderen Gleichaltrigen weder verstockt noch lethargisch vor sich hin existiert. Und auch hier ist festzustellen: Die Eltern bleiben mit ihrem Sohn im Gespräch. Ich freue mich über Beispiele wie diese, denn sie bestätigen das, was ich selbst erfahren, praktiziert und wieder erfahren habe. Mein Vater hat stundenlang meine „Warum“-Fragen beantwortet, was irgendwann einmal zu der kuriosen Einsicht führte, dass ich in diesem Sinne anti-autoritär erzogen wurde. Doch das ist eine andere Geschichte. Was ich davon mitgenommen habe, ist die Gesprächsbereitschaft gegenüber meinen Kindern, die mir nicht nur ein Loch in den Bauch gefragt haben. Und die Diskussionen, die sich oft darauf ergeben haben, erweiterten nicht nur meinen Horizont, sondern zeigten den Kids auch, wie man Gespräche denkt und führt. Söhne wie Tochter sind wunderbar reflektiert, was zu einem erweiterten Verständnis für ihre Umwelt und die Menschen führt, die darin leben.

Natürlich gab es Zeiten, wo kein Satz ohne ein „oida“ oder „Alter“ daher kam. Ihren Vater hat das ziemlich auf die Palme gebracht, weil er es persönlich genommen hat. Erst mehrfache Erklärungen, dass „man“ eben so spricht in diesem Alter, konnten ihn etwas besänftigen. Angefreundet hat er sich nie damit. Und da sind wir genau an dem Punkt, der meiner Meinung nach das Verhältnis zwischen den Generationen nach wie vor schwierig macht. Es fehlt das Verständnis füreinander. Nicht generell, aber doch momentan sehr, wie mir scheint. Und die Zeiten sind ja auch so wirr, dass man zwischen der Selbstfürsorge und dem Allgemeinwohl hin und her gewatscht wird und leicht aus seiner eigenen Mitte gerät. Und das wiederum führe ich darauf zurück, dass wir natürlich alle das Gewohnte zurück haben wollen. Jede Generation.

Auch wenn Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben, dreht sich alles doch mehr oder weniger um ein Thema: Freiheit. Die Freiheit zum Konsum. Die Freiheit zum Genuss. Die Freiheit zum Sein. Das alles scheint sich gefühlt momentan kaum umsetzen zu lassen. Ja, immer weniger, wenn man die Verlautbarungen betrachtet. Doch gerade hier ist wieder einmal Achtsamkeit gefordert. Nicht alles nur nehmen, wie es präsentiert wird, sondern auch hinterfragen und selbst recherchieren, was einem unklar ist. Doch das hatten wir ja schon im Frühling.

Vor zwei Jahren war ich auf Robben Island, eine vor Kapstadt liegende Insel, auf der Nelson Mandela fast 20 Jahre seines Lebens im Gefängnis saß. Man spricht auch von der „Mandela University“, weil der spätere südafrikanische Präsident die Zeit nutzte, um sich fortzubilden und auch seine Mithäftlinge dazu zu animieren. Was sonst hätte er tun können auf einem sandigen, heißen Eiland, in einer Mini-Zelle, in der man nicht einmal die einfachste Bauchtanz-Choreographie unterbringen hätte können? Was immer er gelernt hat: Er hat gezeigt, dass Freiheit eine innere Einstellung ist und nicht von äußeren Umständen abhängt. Und genau diese Erkenntnis brauchen wir in Zeiten wie diesen.

Doch was bedeutet das konkret? Nehmen wir die Freiheit zum Konsum. Man könnte beispielsweise – und politisch immer unkorrekter – aus dem Internet konsumieren und sich die Einkäufe virtuell bestellen. Ist heutzutage ein bisschen pfui, weil ökologischer Fußabdruck, weil Schwächung der heimischen Wirtschaft. Stellt sich also die Frage, warum wir die Freiheit haben wollen, Dinge zu verbrauchen. Aufzubrauchen. Verschwinden zu lassen. Und ich spreche jetzt nicht von Hunger – essen müssen wir schließlich alle. Was mich zum nächsten Punkt bringt: die neue C-Gewohnheit, sich Nahrung ins Haus liefern zu lassen. Noch nie zuvor habe ich so viele Zustell-Radler im Stadtbild gesehen wie seit dem Frühling. Gut, was die Schaffung von Arbeitsplätzen angeht. Schlecht, was den Unwillen vieler zeigt, für sich selbst zu sorgen. Nämlich insofern, dass man weiß, was man isst. Aber gut. Lieber Stunden am oder vor dem Bildschirm verbringen und dort etwas zu konsumieren, was einem Entscheidungen abnimmt, wahlweise vernebelt. Entspannen müssen wir ja alle einmal, nicht?

Was mich zur Freiheit zum Genuss bringt. Fragen wir uns heute noch, was Genuss wirklich für uns ist? Oder lassen wir uns einreden, was wir zu genießen haben? Weil es alle tun oder haben? Vor Jahren habe ich ein Interview mit einem Mann geführt, der mir erzählte, sein größter Genuss sei ein Butterbrot mit frischem Schnittlauch. Yesssss. Eine Freundin erzählt mir, dass sie jeden Tag eine Stunde wandert und immer wieder Neues in ihrer Umgebung entdeckt, was ihr in den vergangenen Jahren entgangen ist. Yesssss. Und ich genieße den allerersten Schluck Kaffee in der Früh. Muss Genuss immer groß und teuer sein? Ich glaube nicht. Für manche reicht sitzen.

Freiheit zum Sein. Da wird es für viele schwierig. Denn nur die wenigsten hinterfragen ihr Sein – wozu auch, man „ist“ ja eh immer. Doch schon Erich Fromm unterschied zwischen dem Haben und dem Sein als Zugang zum Leben. Und die Gefahr beim Haben ist halt, dass es einem genommen werden kann. Das Sein hingegen bleibt. Weshalb es mir ziemlich sinnvoll erscheint, sich genau diesem Sein zu widmen. Herauszufinden, was dafür wichtig ist. Was es ausmacht. Wie man es gestalten kann. Auch ohne das Haben, das in unserer Welt so wichtig geworden ist.


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