Für meine Mutter ist Katar ja ein Vergnügungspark für Menschen, die ihren Anstand mit Gürteln der besonderen Art bestücken. Und die Welt echauffiert sich aktuell tatsächlich auch über ein „Kleidungsstück“ für die Liebe.
Doha ist für mich vor allem eines: eine Drehscheibe des internationalen Flugverkehrs. In zweiter Linie liebte ich den gelben Riesenbären, bevor ich herausfand, dass er 6,8 Millionen Dollar wert, 18 Tonnen schwer und sieben Meter hoch ist. Dass sich eine Königsfamilie solch ein Spielzeug leistet, mit dem sie noch nicht einmal spielt, halte ich für äußerst fragwürdig. In dritter Linie verbinde ich mit diesem Flughafen Raucherlounges, in denen man noch nicht einmal eine Zigarette anzünden muss, um nach einem mehrstündigen Flug ohnmächtig zu werden. So modern der Airport auch sein mag: An der Belüftung dieser Nebelboxen sollte die Königsfamilie noch arbeiten. Ganz bestimmt gibt es die auch in Gold.
Meiner Mutter ist dieser Flughafen höchst suspekt, weil sie ihren Informationsquellen terroristische Gefährdung entnommen hat, vor allem für mich, als ich zwischen Goldbär und Goldbelüftung hin und her taumelte. Ich wiederum habe mir stets überlegt, warum diese unanständigen Menschen, selbst wenn sie ihre Trainingslager vor den Flügeltüren der Luftdrehscheibe hätten, ausgerechnet dieses Trainingslager in die Luft jagen sollten. Doch zu einer ultimativen Einschätzung bin ich nie gekommen, weil ich meist zum nächsten Flug musste und es mich viel mehr stresste, dass das WLAN nicht funktionierte.
Inzwischen dürfte das repariert sein, denn schließlich rollt in Katar aktuell der Ball. Der internationale Ball. Und meinen Informationsquellen entnehme ich, dass das im Grunde ziemlich pfui ist. Ich bin ja eigentlich eine Turnierzuseherin und habe heftige Fussball-Phasen hinter mir, besonders als mein Jüngster auf einer Welle mit mir schwamm. Er tobt sich aktuell in Marokko auf denselben aus, während ich gegen die Kältewelle kämpfe. So ändern sich die Zeiten. Für mich ist die Kältewelle ja genauso pfui, aber auf eine andere Art und Weise. Doch das wird in absehbarer Zeit anders, und bis dahin beiße ich die Zähne zusammen.
Pfui ist das Kicken in Katar vor allem deshalb, weil Tausende Menschen offenbar beim Bau diverser Einrichtungen ums Leben gekommen sind. Weil man in Katar Homosexualität als geistigen Schaden bezeichnet. Weil Frauen nicht einmal annähernd die gleichen Rechte wie Männer haben. Weil viel zu viel Energie für das Kühlen der Stadien verschwendet wird. Gut, das mit den Toten konnte man im Vorhinein nicht überblicken, doch den Rest? Seit 2010 weiß die Fußball-Welt, dass man in Katar das Runde im Eckigen haben will. Und nicht nur dort, denn schließlich mussten die Scheichs ja jemanden bei der FIFA „überzeugen“. Katar gar nicht zur Bewerbung zuzulassen, ist wohl keine Option gewesen in der Welt, wo nicht nur der Rubel rollt.
Während einige in meinem sozialen Umfeld gar nichts dabei finden und sich daran delektieren, dass endlich einmal eine Fußball-WM ohne betrunkene Fans stattfindet, sind andere ganz strikt. Und das entspricht wohl auch dem Zeitgeist, wo statt Fußballschauen Fußballspielen bevorzugt wird, weil das ja auch im Trend liegt. Zumindest in Österreich. Da scheint es jetzt nach zehn Jahren endlich möglich zu werden, in der Schule eine tägliche Bewegungseinheit einzuführen. Offenbar mahlen nicht nur in der FIFA-Welt, sondern auch hierzulande die Mühlen langsam. Hauptsache, man schwärmt virtuell nach einer „One Love“-Binde aus, die zwar nur ein kleines Zeichen am Arm eines Torhüters gewesen wäre, doch immerhin eine so große Bedrohung, dass man sie verbieten muss. Wir haben wirklich keine anderen Probleme, wie mir scheint. Und auch keine anderen Dinge, an denen wir uns aufrichten könnten.
Ich habe mich entschieden, dem Fernseh-Fußball fernzubleiben. Wenn ich ein Ergebnis oder Ereignis wissen soll, wird das Universum schon dafür sorgen, dass ich es erfahre. Faszinierend finde ich trotzdem, in welcher Form es uns immer wieder auf die verschlungendsten Wege führt, damit wir unsere ethische Einstellungen überprüfen können. Ich sag’s ja immer: Philosophien, Konzepte und Weltanschauungen müssen erst den Alltag überstehen. Doch haben sie den Härtetest überstanden, können sie sehr kraftvoll sein. Darüber könnten wir nachdenken – vielleicht sogar während eines Fußballspiels.
Die gesprochene Version dieses Textes finden Sie auf www.voll50.com/category/podcast
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