Vor einiger Zeit habe ich eine neue Funktion übernommen, die sich viel mit Gruppendynamik und interpersoneller Kommunikation beschäftigt. Dabei die Position der Frau im Mond einzunehmen, hilft ungemein.
Wogen glätten, Räume für Harmonie öffnen, Synergien zeigen – so würde ich diese neue Aufgabe konkreter beschreiben. Und als wir kürzlich zusammenkamen und ich erstmals im größeren Rahmen meine Funktion beschrieben habe, wurde mir klar: es geht mehr oder weniger um interpersonelle Kommunikation. Ich bot mich also an, zu vermitteln, sollten Menschen innerhalb unserer Institution Probleme miteinander bekommen. Eine Kollegin fragte mich: „Und was ist, wenn jemand von uns Probleme mit Dir hat?“
Ich erinnerte mich an einen Sonntagsspaziergang mit meinen Kindern, als mich der Älteste fragte, wie ich mit Menschen umginge, die mich nicht mochten. Und schon damals fiel es mir schwer, eine Antwort zu finden, da ich keine Zeit hatte, mich darauf zu fokussieren, wer etwas gegen mich haben könnte. Also sagte ich ihm, dass ich niemanden kennen würde, der etwas gegen mich hätte. Das mag ein zutiefst subjektiver Eindruck gewesen sein und fällt vielleicht in die Schublade einer Freundin, die kürzlich zu mir sagte: „Man kann sich alles schön reden.“ Meine Antwort: „Man sollte sich tunlichst alles schön reden.“ Schließlich richten wir uns am Schönen auf, jeden Tag aufs Neue.
Jetzt hätte ich die Frage meiner Kollegin als Provokation empfinden können, und weil ich sie kenne, möchte ich auch gar nicht ausschließen, dass sie die eine oder andere Ameise in den Allerwertesten gekniffen hat. Und doch kam etwas aus meinem Mund, das ohne großes Nachdenken sprudelte und mich im Nachhinein sehr glücklich gemacht hat. Ich antwortete: „Bitte sagt es mir direkt, denn ich tendiere inzwischen dazu, gar nichts mehr persönlich zu nehmen.“ Und das war die Wahrheit. Eine schöne Wahrheit für jemanden, der Jahrzehnte damit verbracht hat, zwischen den Zeilen zu raten. Zu interpretieren, was das Zeug hält. Etwas oder jemanden schön zu reden, obwohl die Lotusblüte noch meterweit von der Wasseroberfläche entfernt war und noch gar nicht feststand, ob sie diese jemals erreichen würde.
Kürzlich habe ich mit einem guten Bekannten in Tunesien telefoniert, dem ich die fundamentale Lebensweisheit „s’is like this“ verdanke. Schon alleine deshalb hebe ich ab, wenn er sich meldet. Denn „S’is like this“ ist mir inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen. Die Katze, die mich als Gastgeberin auserkoren hat, war auch eine gute Lehrmeisterin in „S’is like this“. Wenn ihr etwas wehtut, tut es weh. Aber sie katastrophisiert den Schmerz nicht. Sie schläft weiter, frisst weiter, lässt sich weiterhin streicheln und jagt Mäusen, Vögeln, Fischen nach. Bewertung ist ihr vollkommen fremd, während ich zumindest noch zum Schönreden neige. Ob ich mir das je abgewöhnen werde? Ich bezweifle das.
Gerade hat sich ein passendes Beispiel dafür ergeben. Während ich auf der Terrasse im Sonnenschein diese Zeilen schreibe, umkreist mich ein Rosenkäfer. Früher habe ich die Dinger gehasst, weil sie ihre glitschigen Riesenlarven immer in der Erde des Glashauses abgelagert hatten und ich mich mit Ekel um die Entsorgung kümmern musste. Jetzt bewerte ich die Larven nicht mehr, habe aber auch schon lange keine mehr gefunden. Wie auch immer. Dieser Rosenkäfer hat sich gerade in meinem Haarnest verfangen und bedurfte einer Hilfestellung, um dem Wirrwarr zu entkommen. Früher hätte ich einen Hysterieanfall bekommen, weil pfui. Heute denke ich, dass mich der Käfer mit einer Rose verwechselt hat, die er anfliegen wollte. Merken Sie etwas? Alles eine Frage der Perspektive.
Wenn ich nichts persönlich nehme – außer ich werde eben direkt adressiert -, werden auch die Bewertungen weniger. Wenn man Lust darauf hat, kann man Situationen auch schönredend erleben – der Euphemismus ist ja durchaus allgegenwärtig in unserer Zeit. So kann ich im Augenblick sein, wahlweise in meinem Kopf eine Geschichte stricken, die mir Freude macht. Und in Daseinszuständen wie diesen kommt man gar nicht mehr auf die Idee, sich angegriffen zu fühlen. Daraus resultiert wiederum: Wenn ich mich nicht angegriffen fühle, muss ich mich nicht verteidigen. Und stoppe damit das Rad der Impulsivität, das in der Kommunikation sehr leicht angetaucht werden kann.
Der Rosenkäfer ist gerade wieder über meinen Kopf hinweg gebrummt. Ein Schmetterling gondelt in Wellen um mich herum, und die Katze balanciert ihren eleganten Körper auf dem Geländer entlang. Das wahrzunehmen, ist ein viel größeres Geschenk als mir zu überlegen, wer mich gerade nicht ausstehen kann. Andererseits: ich würde nicht einmal das persönlich nehmen, sondern lediglich bedauern, dass diese Mensch seine Zeit mit grummeligen Gedanken verbringt. Ihn anlächeln und mich auf etwas Positives konzentrieren. Pippi Langstrumpf hat viele Facetten, „S’is like this“ ist eine davon.
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