Sommerhimmel

FREITAG: Sommergefühle

Ich liebe es, wenn ich in der Früh bei meinem Schlafzimmerfenster raus schaue und mir Hildegard von Bingens Grünkraft in die Augen springt. Der Sommer ist jedes Jahr etwas ganz Besonderes, wenn auch mit einer Umstellung der täglichen Abläufe verbunden. Das ist auch Wandel, dieses Mal jener der Natur.

Heuer habe ich so viel wie nie in den Garten investiert. Und dabei rede ich noch nicht einmal von zugekauften Pflanzen oder Samen, obwohl die auch ein Budget auffrasen, das ich in den vergangenen drei Jahren nicht ausgegeben habe, als ich den Garten einfach machen ließ, wozu er lustig war. Vor allem habe ich Zeit und Liebe investiert, mir meine kleine Oase in der Stadt wieder zu einem erweiterten Wohnzimmer zu machen, durch das ich Tag und Nacht schlendern kann, während die Katze um mich herum tänzelt, im Gebüsch der Igel hustet und die unterschiedlichen Texturen der Wege meine Fußsohlen massieren. Dass ich auch heuer wieder das Gefühl habe, Dornröschen zu sein, hängt aber auch damit zusammen, dass ich bei dieser Hitze nahezu jeden Tag mit dem Gartenschlauch ausrücken muss. Und das ist eine logistische Herausforderung in zweierlei Hinsicht. Erstens sollte ich die richtige Tageszeit erwischen, denn wenn die Sonne hoch steht, laufe ich Gefahr, die Blätter meiner Mitbewohner zu verbrennen. Das wiederum macht notwendig, dass ich zeitig aufstehe, was ich per se schon sehr ungern tue. Ich bin eben auch im Sommer eine Nachteule. Andererseits lockt das abendliche Gießen die Schnecken aus ihren Verstecken, die sich bereits auch so über Mangold und Kohlrabi, Kürbis und Pak Choi hergemacht haben. An heißen Tagen nach einem Regenguss wuchte ich die Gießkannen in die Regentonnen und wieder heraus, um die Töpfe mit Flüssigkeit zu versorgen. Hat es länger nicht geregnet, muss der Gartenschlauch entwirrt werden. Und obwohl ich zwei Einheiten habe, die an unterschiedlichen Stellen des Gartens hängen, muss ich jede davon durch den halben Garten schleifen. Da knickt der Schlauch schon mal und ich muss zurück, während das Beet mit dem Immergrün überflutet wird. Warum? Weil sich das Spritzstück nicht abdrehen lässt. Oder ich breche beim Ziehen des Schlauches die Stiele der Fetthenne ab, die als eine der wenigen Pflanzen dem Garten auch im Herbst und Winter den Hauch von Blüten geben. Das Schilf ist biegsam genug, und trotzdem sind auch an dieser Stelle schon einige Halme dem Gartengießen zum Opfer gefallen. Mein Ex hat mir geraten, den Schlauch vorher auszulegen – habe ich getan, hat sich nicht sonderlich bewährt. Die Stiele der Fetthenne sind nur später gebrochen.
Da ich viele Fetthennen in meinem Garten habe, weiß ich, dass sie mit ihrem Blütenflor die gefährdete Schwester ausgleichen werden, und zur Not kann ich eine an einem etwas bescheideneren Standort umpflanzen. Ist also alles nur ärgerlich, aber nicht dramatisch. Was meinen Tagesablauf zudem verändert, ist die Beschattung meines Hauses. Denn wenn ich nicht zum richtigen Zeitpunkt die Rollläden herunter lasse, verbringe ich mein Dasein in einem Backofen. Also werden am Morgen die Fenster der Schattenseite aufgerissen, während auf der anderen Seite alles verdunkelt bleibt. Mit zunehmendem Fortschreiten des Sonnenstandes, kommen die einen wieder rauf und die anderen runter. Zwölf Rolläden werden also manövriert, was mir langsam, aber sicher zu definierten Oberarmen verhilft. Andere gehen ins Fitness-Studio, ich kurble. Auch hier ist Zeitmanagement wichtig, denn gehe ich aus dem Haus, muss ich mir vorher überlegen, wie die Beschattung zu sein hat, damit mein Dornröschen-Schloss angenehm temperiert ist.
Früher hatte ich zudem den Stressfaktor des Seebesuchs. Denn wer ständig Eintritt bezahlen muss, kommt bei den gestaffelten Preisen schon manchmal in Turbulenzen. Sie werden zwar billiger, je später man hinkommt; allerdings ist das kein exklusiver Gedanken, sondern der fällt vielen ein. Was bedeutet, dass man die Wahl hat zwischen einem teuren Tagesticket, obwohl man nur zwei Stunden Baden will, oder einer überfüllten Liegewiese, wo es keine Privatsphäre mehr gibt – weder akustisch noch physisch. Vor einigen Jahren hatte ich ja einen Verehrer, der immer zu mir aufs Handtuch wollte. Ich hielt das für den Beginn einer psychischen Störung. Heute weiss ich: das ist zum Trend geworden. Inzwischen verscheuche ich Menschen mit einem Blick über meinen Brillenrand, wenn sie die Zwei-Meter-Grenze rund um mich herum verletzen. Nennen Sie mich authistisch – ich stehe dazu. Wenn ich Kontakt zu Menschen will, sage ich das. Wenn nicht, möge man bitte in angemessenem Abstand Quizfragen diskutieren, Fast Food-Stände besprechen oder das Verhalten anderer bemängeln. Manche sind dabei so laut, dass ihre Stimmen sogar durch meine Kopfhörer dringen. Und das, obwohl sie nebeneinander auf ihre Matten liegen. Wie auch immer: seit letztem Jahr habe ich eine Saisonkarte und kann schon am Morgen am See sein, wenn sich der Andrang noch in Grenzen hält – allgemein und speziell rund um meine Badetasche.
Trotzdem mag ich den Sommer, die hellen Himmel, das kühle Wasser des Sees, an dessen Ufer ich arbeiten und gegebenenfalls eintauchen kann, wenn mir gerade wenig einfällt. Ich mag es, wenn die Sonne die Wassertropfen auf der Haut auftrocknen, ich den Zweigen von unten beim Schwingen zusehen kann und über eine kurze Strecke einem Flugzeug nachschauen darf, das einen Kondensstreifen hinter sich herzieht. Ich genieße den Lauf der Wolken, die lauen Nächte in einem Gastgarten, die leichte Kleidung – selbst wenn sie wie aktuell vorrangig am Körper klebt. Aber auf diese Weise lerne ich auch einmal dieses Wet T-Shirt-Gefühl kennen, das ich mir aus Anstandsgründen, eventuell wegen mangelnder Oberweite bisher versagt habe. Bei diesen Temperaturen wäre die einzige Alternative, in klimatisierte Räume zu gehen, was mir ein Graus ist. Lieber setze ich mich ins Auto, kurble (wieder einmal) die Fenster runter, zünde mir eine Zigarette an und höre laute Musik, während ich Gas gebe. Auch das ist Sommer für mich, und noch dazu ein ziemlich guter. Morgen sehe ich Rod Stewart – mehr geht fast nicht.


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