Jetzt ist er also da, der Winter. Und auch wenn ich bei der ersten Schneeflocke nicht so hyperventiliere wie meine Mutter – zu früh kommt er irgendwie immer.
Als ich gestern nach einem netten Abendessen mit Freunden auf die Straße getreten bin, ärgerte ich mich über den heftigen Regen. Und beim Einsteigen ins Auto war es selbst mir klar geworden: Der heftige Regen war Schnee. Und nein, ich hatte nur alkoholfreies Bier getrunken. Doch trotz der Tatsache, dass wir mitten im November stecken und die Temperaturen alles andere als kuschelig sind, bin ich nicht auf die Idee gekommen, dass es der Schnee bis zu mir schaffen könnte. Von meinen Eltern haben mich Bilder einer zehn Zentimeter dicken Schicht schon erreicht, aber mein Gott – die wohnen ja auch in den Bergen, und da gehört der Schnee ja auch hin. Der große Koloss, den ich von meinem Arbeitszimmer aus sehe, hat schon länger eine eisige Zuckerhaube, aber hier in meinem Garten? Irgendwie dachte ich wohl, dass über meinem Haus eine Art Wärmeglocke hängt, die alles zum Schmelzen bringt, was sich auf zehn Meter nähert.
Heute morgen beim Aufwachen hörte ich dann – nichts. Das ist insofern ungewöhnlich, weil durch meine Gegend rund 30.000 Autos am Tag gondeln, meist auf dem Weg zum nahe gelegenen Einkaufszentrum. Das man eigentlich auch bequem mit dem Bus oder der S-Bahn erreichen könnte, aber wer im frühen Vorweihnachtseinkauf steckt, will sich auch nicht zu Tode schleppen, ne? Wie auch immer: Ich hörte kein Motorengeräusch, keine Beatmusik aus den Autos, noch nicht einmal das Klicken der Busoberleitungen. Und das hieß für mich selbst im Stadium des Aufwachens, in dem ich normalerweise noch nicht einmal meinen Namen weiß: Es liegt Schnee.
Die weiße Sonne an der Garagenwand spiegelte den Matsch auf meiner lavendelblauen Tischdecke mit den Sonnenblumen. Die Äste des Thuje hingen nach unten, und auch die letzten Zinnien, die ich den ganzen Sommer vor lauernden Schnecken beschützt hatte, trugen ein weißes Hütchen. Auf dem Steg beim Teich sah ich Katzenpfötchen und im Geist die Anmut, wenn ein Stubentiger vorsichtig Schritt für Schritt den unsicheren und kalten Untergrund abtastet. Und so saß meine Katze auch schon auf der Fensterbank, als ich die Rollläden raufdrehte und maunzte mich an, als hätte ich persönlich den Schneehahn aufgedreht.
Früher war Schnee super für mich, als ich noch zum Schifahren ging. Das habe ich inzwischen aufgegeben, weil ich nicht einsehe, dass ich für ein 500 Kilometer großes Schigebiet, das ich in keinsterweise innerhalb eines Tages bekurven kann, 3.000 Euro zahlen soll. Wirtschaftlich gesehen leuchtet mir das ein. Haushaltsbudgetmäßig nicht. Wenn ich mich irgendwann mit dem Schnee abgefunden habe, gehe ich ganz gerne mit richtigem Schuhwerk spazieren und kann auch dem Knirschen unter meinen Füßen durchaus etwas abgewinnen. Wenn nicht die Kälte wäre!
Klar, man kann sich anziehen. Und anziehen. Und anziehen. Mit entsprechend vielen Schichten übersteht man jeden Winter. Oder der passenden Funktionskleidung, die ich allerdings nicht besitze, weil ich von der Gleichmacherei wenig halte. Doch ich sehe natürlich deren Vorteile, insofern alles gut. Das winterliche Zwiebelgetue geht mir trotzdem auf die Nerven. Eine Freundin meinte kürzlich, dass ihre Müdigkeit daher kommen könnte, weil sie beim Anziehen soviel Energie aufwenden müsse. My Tribe! Ich kriege ja schon Hitzewallungen, wenn ich in eine Strumpfhose schlüpfen muss. Das Maximum sind Netzstrümpfe, und ja, es ist mir bewusst, dass nichts weiter von winterlicher Funktionskleidung entfernt ist. Sie merken schon: Winter ist nicht meine Jahreszeit.
Und doch kann ich diesen einen Moment genießen. Den nämlich, wenn es draußen dämmert, ganz dicke Flocken fallen und ich auf meiner Kamincouch im Warmen sitzen und der Gemächlichkeit zusehen darf. Es gibt kaum etwas Entspannenderes als das. Das zeigt mir, dass alles seine Zeit braucht, auch so eine Schneeflocke. Sie kann nur in der für sie möglichen Geschwindigkeit schweben, es geht eben nicht schneller. Man kann sie nicht antreiben, ihr etwas dafür versprechen oder sie sogar dafür belohnen. Nichts da – it takes time! Insofern ist der Winter ein guter Lehrmeister für mich, geduldig zu sein.
Allerdings reicht die Geduld dann doch nicht so weit, das Jahresende und die damit zusammenhängenden Aktivitäten auf mich zukommen zu lassen. Deshalb habe ich einen Flug gen Süden gebucht und freue mich unbändig darauf. Keine Funktionskleidung, keine Strümpfe, keine Schneekristalle auf dem Tisch vor meinem Fenster. Sondern nur Sonne, mein Journal und eine Tasse Kaffee. Die Kälte bekommt mich früh genug zurück.
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