FREITAG: Das Feld des Datings

Wenn es um das Kennenlernen von Menschen geht, bin ich hoffnungslos altmodisch. Denn nichts ist besser, als in jemanden hineinzulaufen oder zufällig zu treffen. Doch heutzutage läuft es anders.

„Habt Ihr Euch auf einer Dating-Plattform kennengelernt?“ Mit dieser Frage wurden mein Partner und ich kürzlich konfrontiert, und ich musste lachen, aus vielerlei Gründen. Nicht dass ich etwas gegen die Existenz von Dating-Plattformen hätte – schließlich gibt es solche Institutionen auch für Einkaufen, Reisen und Lernen. Etwas zu bündeln entspricht meinem Sinn für Effizienz, ähnlich wie Einkaufszentren, obwohl ich den Branchenmix vielfach fragwürdig empfinde. Doch das ist ein ganz anderes Thema. Oder vielleicht doch nicht?

Wenn ich mir so anhöre, was Freundinnen über den Mix auf Dating-Plattformen erzählen, kommt mir schon das kalte Grausen. Und das ist jetzt nicht einmal auf das Äußere des Angebots gemünzt, denn über die Äußerlichkeiten wird dabei kaum gesprochen. Im Grunde wird es erst dann ein Thema, wenn frau auf die richtige Seite gewischt hat und ich dann natürlich neugierig bin, wie das entsprechende Match aussieht. Und meine Freundinnen haben alle einen guten Geschmack, muss ich sagen. Doch das Äußere ist eben oft nur die halbe Wahrheit, um ehrlich zu sein, nur ein Achtel der Wahrheit – höchstens. Denn es sind am Ende des Tages doch immer die Taten, die zählen. Oder eben nicht.

Natürlich wird immer wieder davon gesprochen, dass es auf Dating-Plattformen im Grunde um Sex geht. Doch in meiner Welt sollte selbst das sorgfältig vorbereitet werden, denn es geht um Energieaustausch. Und wenn ein Mann die Frau klein redet, sie zwischenzeitlich ghostet oder sie dreimal hintereinander während eines Dates stehen lässt, bietet das nun einmal keinen geschützten Rahmen, innerhalb dessen eine Frau sich öffnen kann. Und das meine ich jetzt nicht physisch, sondern mental und seelisch. Denn das ist die Voraussetzung für das Physische. Doch möglicherweise ist das in der Männerwelt noch nicht angekommen.

Auf Instagram folge ich einem Mann, der sich dem gesunden Verhältnis zwischen Mann und Frau verschrieben hat. Und der hat kürzlich das Dating-Profil eines Mannes analysiert. Zeile für Zeile. Zu „Bin neu in der Gegend“ sagte er, dass das eine Einladung für die Frau wäre, aktiv zu werden. Was geschickt sein mag, wenn man sich nicht als zu bedürftig darstellen möchte. Der Punkt ist: Er könnte sagen, woran er an einem neuen Ort interessiert ist. An welcher Art von Begegnung zum Beispiel. Doch das lässt er offen, weil er im Grunde nicht weiß, was er will. Und nach den ersten Angeboten vermutlich vor allem, was er nicht will. Zweite Zeile: „Möchte mich mit jemandem unterhalten und mit dem Flow gehen.“ Was nichts anderes bedeutet als: Ich weiß nicht, was mich erwartet, aber ich entscheide, was ich mit dem mache, was mir geboten wird. Und die letzte Zeile: „Frag mich, was Du willst.“ Auch hier liegt wieder alles in den Händen der Frau, weil er den Anschein macht, dass er sich nicht traut, seinerseits ein Angebot zu machen, das frau nicht ablehnen kann. Eine Jägerin würde sich von so einem Profil angesprochen fühlen, eine Frau, die nach Bereicherung sucht, wohl eher nicht. Denn sie möchte entscheiden und nicht darauf warten, bis der Mann sich entscheidet. Idealerweise für sie.

Nein, mein Partner und ich haben uns nicht auf einer Dating-Plattform kennengelernt. Es hätte auch gar keinen Sinn – soweit ich die Vorgangsweise erzählt bekommen habe -, einen Radius von 9.000 Kilometern bei Tinder und Co. einzugeben. So etwas sucht man sich nicht freiwillig aus, höchstens wenn man nicht wirklich an einer Beziehung, sondern eher an der modernen Art einer Brieffreundschaft interessiert ist. Doch so ist das Leben, wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist: Man trifft sich. Tatsächlich. In 3D. Und man kann ziemlich schnell entscheiden, ob das Gegenüber das Potenzial hat, das eigene Leben zu bereichern. Ob sich das Gegenüber einer respektvoll entgegentritt. Ob in der tatsächlichen Realität ein Angebot gemacht wird, das frau nicht ablehnen kann. Ob die Chemie und der Humor passt. Und sollte nichts davon geschehen, bleibt frau freundlich, aber ablehnend. Denn schließlich will auch ein wie immer gearteter Mann sein Gesicht wahren. Geschenkt.

Manchmal verspüre ich die Lust, ebenfalls auf eine Dating-Plattform zu gehen, um herauszufinden, wie sich Männer in bestimmten Situationen verhalten. Rein, um ihr Kommunikationsverhalten zu studieren. Quasi einen Feldversuch zu starten. Denn bei allem, was mir erzählt wird, kann ich kaum glauben, dass die Identitätskrise so groß sein kann bei vielen Männern. Andererseits: Der Feldversuch würde schon deswegen an mangelnder Ernsthaftigkeit scheitern, weil mein Partner inkognito an der Bar sitzen und mein Tinder-Date im Auge behalten würde. Könnte ich dabei anders reagieren als permanent schmunzeln? Vermutlich nicht. Die Analyse des männlichen Kommunikationsverhaltens während eines Dates muss also wohl jemand anderer machen.

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FREITAG: Tierisch lehrreich

Aktuell bin ich ja wieder im Hundeland und verbringe meine Tage großteils mit Maltesermischlingsdamen, während meine Katze sich an einen neuen Umgang gewöhnen darf.

Haustiere und ich – das war lange Zeit eine ziemlich unerfreuliche Kombination. Dass meine erste tierische Zeitgenossin eine Schildkröte war, die nicht viel Bespaßung brauchte, dafür aber ausreichend gefüttert werden wollte, zeigt: Wegen eventuell aufkommender Langeweile wollte ich nie ein Haustier. Schon das Füttern habe ich schlecht hingekommen, an der Fürsorge für die Schildkröte hat es so weit gemangelt, dass sie eines Winters im Garten erfroren ist. Hätten mir meine Eltern also mit einem Haustier Fürsorge beibringen wollen, wäre das vermutlich ein gescheiterter Versuch geworden. Doch ich glaube nicht, dass sie diesen Trick anwenden mussten – sie haben mir die Hilfsbereitschaft und Lösungsorientierung Tag für Tag vorgelebt. Da brauchte es keine speziellen Interventionen.

Dass Tiere trotzdem irgendeinen Schlüssel für mich haben müssen, begriff ich ab dem Zeitpunkt, wo sie insistierten, Teil meines Lebens zu sein. Ja, manche mögen begreifen, wenn sie ungewollt sind, doch die Tiere, die sich in meiner Nähe niedergelassen haben, waren hartnäckig. Die Goldfische blieben, die Kröten vermehrten sich wie auch die Schnecken, von denen ich mich allerdings weigere, sie als Haustiere zu bezeichnen. Oder sollte ich das, um mehr Empathie für sie zu empfinden? Darüber muss ich noch nachdenken.

Südlich des Äquators ist mir glücklicherweise noch keine Schnecke untergekommen, weshalb ich diesen Gedanken stunden kann. Doch das Nachdenken darüber, was mir Tiere sagen wollen, ist hier präsenter als Zuhause. Der Grund: Ich habe Hunde nie wirklich verstanden. Jetzt mag es dem einen oder der anderen vermessen erscheinen, Tiere überhaupt verstehen zu wollen. Doch die Lockdown-Zeit hat bewiesen, dass ich meine Katze schon zu einem gewissen Grad verstehe. Zum Beispiel wenn sie ihren Schwanz kerzengrad in die Höhe reckt. Dann will sie, dass ich mitkomme – wohin auch immer. Meist an einen warmen Platz im Freien, wo sie auf Knopfdruck ihre Körperspannung aufgeben kann und mir ihren Bauch zum Streicheln präsentiert. Darum beneide ich sie, weil mir Entspannung auf diese schnelle Art und Weise manchmal auch gut täte. Ich habe gelesen, dass Katzen meist nur zwei Minuten daran interessiert sind, ungeteilte Aufmerksamkeit zu bekommen. Meine schafft es locker auf das Dreifache, aber dann ist Schluss. Dann sucht sie sich einen Platz, wo sie sich von den Streicheleinheiten erholen kann – selbstverständlich mit gesenktem Schwanz, denn dorthin darf ich ihr nicht folgen. Gerade hat sie neue, temporäre Gesellschafter bekommen, und ich bin gespannt, wie sie diesselben für sich abrichtet.

Das Wissen um eine unabhängige, selbstbewusste tierische Mitbewohnerin macht es auch mir leicht, sie von Zeit zu Zeit ihrem Schicksal zu überlassen. Wegzugehen mit der Sicherheit, dass sie an dem Ort bleiben kann, den sie gewohnt ist und trotzdem gefüttert zu werden. Süß wie sie ist, bekommt sie ohnehin Streicheleinheiten en masse, wenn sie um die Häuser zieht. Doch sie weiß: Gefressen wird zuhause. Darauf kann sie sich verlassen. Und dort hat sie auch ihren Platz, wenn zu Silvester die Raketen krachen oder ein Unwetter über dem Landstrich niedergeht.

Das Leben mit den beiden Maltesermischlingsmädchen ist anders. Gibt es ein schussähnliches Geräusch, beispielsweise wenn eine Tonne umfällt, suchen sie meine Nähe. Wenn Wolken brechen und sintflutartige Regenfälle auf das Vordach prasseln, hüpfen sie auf meinen Schoß, fast als könnte ich das Wetter ungeschehen machen und ihnen die Angst nehmen. Wenn ich meine blaue Yoga-Matte ausrolle, sind sie die ersten, die draufliegen, noch bevor ich meine Beine falten konnte. Und will ich meinen Körper von den Resten des Stoffwechsels befreien, weiß ich genau, wer von den beiden zu meinen Füßen darauf wartet, bis ich die Spülung betätigen und wieder in den Garten komme. Die beiden Mädchen sind wirkliche Unterhalterinnen, Gefährtinnen, Kuschelobjekte. Und nahezu immer verfügbar, wenn man gerade nicht weiß, was man mit seinen Händen anfangen soll.

Ich muss noch einiges über Hunde lernen, und bestimmt komme ich dann auch dahinter, welche noch versteckten Zeichen sie mir geben, die ich jetzt noch nicht entschlüsselt habe. Aber vielleicht sind sie ja auch gar nicht so kryptisch wie eine Katze? Vielleicht sind sie einfach, wie sie sind. Dieses Phänomen gibt es schließlich auch bei Menschen. Die einen entschließen für sich, wann sie Kontakt zur Außenwelt haben wollen, die anderen sind treue Freunde und Freundinnen, die stets verfügbar und ansprechbar sind. Jeder Mensch braucht beide Sorten in seinem und ihrem Leben. Weil sie Spiegelbilder der eigenen Qualitäten sind. Weil wir alle die Gewissheit brauchen, dass es Menschen gibt, auf die man sich verlassen kann und andere, die uns vor Augen führen, dass man sich zuerst einmal auf sich selbst verlassen muss. Mir scheint: Spät aber doch begreife ich die Lektionen, die Haustiere für mich haben.

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FREITAG: Vom Frühling in den Herbst

Das entschleunigte Dasein hat mich wieder – und ich das entschleunigte Dasein. Erstaunlich, wie schnell man sich daran gewöhnen kann, obwohl die andere Seite (der Welt) auch ihre Vorteile hat.

Vom Frühling in den Herbst zu reisen, scheint vielleicht keine besonders gute Idee zu sein, selbst wenn wir einen richtigen Frühling gehabt hätten. Doch vielleicht findet er ja gerade jetzt statt, während ich den südafrikanischen Herbst genieße? Zu wünschen wäre es allen, denn wenn selbst die Robustesten unter den Wetterfühligen schon Anflüge von Depression erleiden, wird es wirklich Zeit, dass irgendjemand an den maßgeblichen Regen- und Kältestellen mit den Menschen in der nördlichen Hemisphäre ein Einsehen hat.

Obwohl ich seit acht Jahren ziemlich regelmäßig nach Südafrika reise, war mir die Vorstellung, quasi vom Regen in die Traufe zu kommen, eine nur beschränkt angenehme. Noch dazu sprach mein Partner stets vom Winter, was mein Kofferpack-Ich leicht bis mittelschwer gestresst hat. Schließlich wollte es auf alle Eventualitäten vorbereitet sein, bei gleichzeitigem Wissen, dass alles in einen mittelgroßen Koffer passen musste. In Situationen wie diesen merke ich, dass ich doch noch ein Ünzchen Kontrollfreak in mir habe, der am liebsten die letzte Schleierwolke hin und her schieben möchte. Andererseits: Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, die mir schlussendlich auch gelang. Schließlich gibt es auch hier Geschäfte, wo ich mir zur Not einen Pulli kaufen kann. Diese Pullis sind hier wie dort meist Sweatshirts, doch lassen Sie uns nicht über Modestil reden. Das ist eine ganz andere Geschichte.

Am Ende der Reise war natürlich alles ganz anders. Die Sonne schien mir ins Gesicht, das Turnschuh-Dasein wurde von Barfüßigkeit abgelöst, das Arbeiten findet nach wie vor in der Wärme statt – die glücklicherweise nicht mehr ganz so stechend ist wie im Januar. Und der Alltag ist wieder geprägt von den Stromabschaltungen, die ich auch im Herbst zu nutzen weiß. Die Morgenstunden ohne Elektrizität gehören meinen üblichen Routinen, für die ich auch zuhause wenig Strom brauche. Und die musikalische Untermalung aus dem Internet kann ich auch einmal weglassen, wenn die Vögel zwitschern. Die Stromabschaltungen am Nachmittag ermöglichen mir Strandspaziergänge, die ich unter sommerlichen Umständen nur um den Preis eines Sonnenbrandes absolvieren könnte. Und dazwischen? Fokussierung auf das Wichtige.

Schon mein Zuhause ist eine einzige Ablenkung, da muss ich noch nicht einmal mit jemandem in Kontakt treten. Überall Bücher, die ich lesen möchte, in denen ich etwas nachschauen kann, die mich unterhalten. Vor und hinter der Türe Arbeiten, die getan werden müssen – Haus und Garten sind eine neverending story, wenn es um Beschäftigung geht. Und das Wichtige findet dann statt, wenn mich die Muse küsst. An dem Ort, wo ich jetzt bin, kann ich die Muse einladen, mich zu küssen. Hier habe ich die Zeit, einfach einmal ruhig zu sein. Meine Arbeit zu tun, mich um mein körperliches Wohlergehen zu kümmern, in mich hineinzuhören, was ich gerade brauche. Und das alles in einer Umgebung, die alles hat, was nötig ist und mir bewusst macht, was alles unnötig ist.

Dass ich seit fast 16 Monaten eine Fernbeziehung führe, hat vor allem einen Vorteil: Auch mein soziales Umfeld hat begriffen, was alles möglich ist, um Verbundenheit aufrecht zu erhalten. Und deshalb darf ich auch aus 9.000 Kilometern Entfernung teilhaben an dem Leben der Menschen, die mir am Herzen liegen. Das ist die gute Seite des Internets, die ich nicht genug loben kann. Die mir aber auch bewusst macht, dass Licht und Schatten auch virtuell miteinander verknüpft sind. Doch auch das ist eine andere Geschichte, von der ich nicht weiß, ob ich sie wirklich erzählen mag. Dafür scheint die südafrikanische Sonne momentan zu warm.

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FREITAG: Mensch und Wolf

Eine Freundin hat kürzlich erzählt, dass sie versucht, an jedem Tag ihres Lebens etwas Neues zu erleben. Während ich sie dafür verbal bewunderte, fragte ich mich gleichzeitig, inwieweit mir das gelingt. Am vergangenen Wochenende war es dann soweit.

Treue Leser und Leserinnen dieser Zeilen wissen bereits, dass ich an Samstagen und Sonntagen gerne Podcasts höre. Normalerweise bringe ich mich durch aktuelle Beiträge auf den laufenden Stand, vor allem in den Themenbereichen, die mir nahe sind: Spiritualität, menschliches Miteinander, Kulturelles, Musik. Und glücklicherweise kann ich dabei aus dem Vollen schöpfen, denn es gibt wirklich zu allem ein Hörstück, das weiterbilden oder unterhalten will.

Am vergangenen Wochenende wollte ich mich tatsächlich unterhalten. Und während ich noch darüber nachdachte, ob es vielleicht der richtige Zeitpunkt wäre, endlich nach Wochen der Abstinenz wieder einmal einen Film zu schauen, stand ich schon an meiner Stereoanlage, wo in Form eines Mobiltelefons die große, weite Welt der Podcasts lockte. Ich suchte natürlich in den Bereichen, die meine home base sind, doch dann wurde mir eine Art Doku-Krimi vorgeschlagen, der in meinem geographischen Umfeld spielte. Und da fiel mir meine Freundin wieder ein und ich dachte mir: „Warum nicht ein Doku-Krimi?“

Also tippte ich auf die erste Folge und legte mich auf die Couch. Normalerweise liebe ich es, mich vom Radio ins Land der Träume transportieren zu lassen, doch in diesem Fall blieb ich wach. Es war gut gemacht, spannend aufgebaut, interessante Dramaturgie. Auf Episode Eins folgte Nummer Zwei und Drei – seitdem weiß ich, was Menschen mit dem Binge-Watching-Syndrom umtreibt. Nämlich der Drang, jede Episode einer Serie – egal ob für die Augen oder die Ohren – einfach am Stück zu konsumieren. Nach sechs Folgen war der Doku-Krimi fertig erzählt, und ich hatte in den drei Stunden auf dem Sofa eine neue Erfahrung gesammelt.

Wäre ich nicht so ein positiver Mensch, würde die erste Erfahrung lauten: Der Mensch ist des Menschen Wolf. Vor Jahren hatte ich diesen Spruch des Philosophen Thomas Hobbes in Wittenberg an eine Wand gesprüht gesehen und mir damals versucht, auszumalen, wie das konkret aussehen könnte. Nun: Nach dem Doku-Krimi weiß ich es. Die zweite Erfahrung: Themen wie diese sind höchst süchtig machend. Denn wenn man erst einmal auf der Welle des Verdachts, der Lüge, der Ungewissheit surft, hält man irgendwann alles für möglich. Und will mehr darüber wissen. Einen Tag nach meinem Binge-Abend griff ich wieder zum Handy und stieß bei der Suche auf einen Beitrag über Whistleblower. Sie wissen schon, diese Menschen, die Geheimnisse von Firmen oder Staaten oder Menschen an die Öffentlichkeit tragen, weil sie einen Beitrag zur Beseitigung von Missständen leisten wollen. Ich tippte den Beitrag an und schon ging es wieder los mit dem Mensch, der des Menschen Wolf ist. Und ich dachte mir: Ist es wirklich das, was ich brauche? Die Antwort kam schnell: NEIN!

Man mag mich eine Eskapistin schimpfen, die der Wirklichkeit nicht ins Auge sehen möchte, die nicht wahrhaben will, was im Namen von Staaten, Institutionen, Unternehmen verbrochen wurde und wird. Natürlich finde ich unglaublich, wozu Menschen fähig sind, wenn sie ihrem Ego nachgeben. Beispielsweise im Sudan, wo zwei Männer eine Revolution durchbringen und bei den anschließenden Verhandlungen, wie man das Land auf die Beine stellen könnte, so ins Streiten kommen, dass es aktuell einen Bürgerkrieg im Sudan gibt, vor dem nach Angaben des UN-Flüchtlingswerks bis zu 800 000 Menschen flüchten. Da kann man als halbwegs gesunder Mensch nur den Kopf schütteln, weil es den handelnden Personen offenbar vollkommen egal ist, wer den Preis für ihre persönlichen Egotrips zahlen.

Weder beim Inhalt des Doku-Krimis noch bei der Angelegenheit im Sudan, dem Konflikt in der Ukraine oder den Details über den inhaftierten Julian Assange kann ich tatsächlich irgendetwas ändern, weil ich weder die Hintergründe kenne, noch – würde ich sie kennen – verstehen würde, wie sich ein Mensch oder eine Gruppe so verhalten kann. Daraus können Sie schließen: Ich bin keine Spielerin. Ich interessiere mich weder dafür, Menschen zu manipulieren, noch sie anzulügen oder sie hinters Licht zu führen. Körperliche Gewalt ist ebenfalls nicht die Waffe meiner Wahl. Ich bin für Reden und Zuhören, für Verständnis und Mitgefühl. Und wenn irgendwo auf der Welt jemand austickt, bin ich überzeugt davon, dass hier jemand zu wenig Gehör und Anteilnahme bekommen hat.

„Der Mensch ist des Menschen Wolf“ ist nur die halbe Wahrheit, denn Thomas Hobbes schreibt zuerst davon, dass der Mensch dem Menschen ein Gott ist. Und meint damit, dass der Mensch mit Gerechtigkeit und Nächstenliebe die Tugenden des Friedens in sich trägt, die ihn Gott ähnlich werden lassen. Für mich bedeutet das stets: Wir Menschen haben die Wahl. Wir können uns für das Gute oder das Schlechte entscheiden, für das tägliche Paradies oder die tägliche Hölle. Und selbst wenn es mich fasziniert hat, im Doku-Krimi kurzfristig Teil der Hölle anderer Menschen zu sein, habe ich es doch in der Hand, abzubiegen. Und mich statt für die Whistleblower für das Paradies zu entscheiden. Und bei aller Liebe für neue Erfahrungen: Das wird auch künftig so bleiben.

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FREITAG: Beziehungen größer denken

Momentan ist es wieder einmal schlecht bestellt um positive Meldungen zum Thema Mann in der Voll50-Community. Und in immer mehr Frauen meines Alters wächst der Wunsch, es vielleicht doch einmal „ohne“ zu versuchen.

Die Sache ist ja die: Grundsätzlich ist jede und jeder nur dazu imstande, was er oder sie eben leisten kann. Und wir sind alle nicht perfekt, was bedeutet, dass frau im täglichen Miteinander immer auch ein gewisses Wohlwollen gegenüber dem Mangel an den Tag legen sollte. Ich sehe das ja positiv, weil ich immer mehr in der „Weniger-ist-mehr“-Gasse spazieren gehen. Aber es kommt natürlich immer darauf an, in welchem Bereich der Mangel groß ist und welche Bedeutung dieser Bereich für einen Menschen hat.

Kürzlich spreche ich mit einer Freundin über eine Männer-Wunsch-Liste, und in ihrer bescheidenen Art hätte sie nur zwei Dinge auf das Blatt Papier geschrieben. Jetzt kenne ich diese Freundin doch schon ein paar Tage und weiß: Mit zwei Dingen ist es bei ihr NIE getan. Und schon gar nicht, wenn es um Männer geht. Das bedeutet nicht, dass sie mit ihren Ansprüchen übers Ziel hinausschießt, sondern nur, dass sie gar nicht auf die Idee kommt, was alles bei einem Mann eben nicht stimmen kann für sie. Deshalb wollte ich sie dazu inspirieren, ganz genau zu notieren, was er im Idealfall mitbringen könnte. Und siehe da: Vieles von dem, was ich angesprochen habe, war für sie so selbstverständlich, dass sie gar nicht daran gedacht hat, diese Selbstverständlichkeiten auf ihren Zettel zu schreiben.

Eine andere Freundin hat diese Liste bereits Ende vergangenen Jahres bestückt. Und als wir bei unserem Advent-Treffen mit der Dritten im Bunde die Merkmale durchgingen, war auch da vieles mitgedacht, was einer expliziten Erwähnung bedarf. Auch wenn mein persönliches Verhältnis zum Universum ja über weite Strecken ziemlich durchwachsen war – eines habe ich gelernt: Sei präzise! Und denke an die geographische Verortung Deiner Wünsche, sonst setzt es Dir 9.000 Kilometer entfernt Deinen Traummann vor die Füße.

Was ich spät, aber glücklicherweise nicht zu spät gelernt habe: Männer funktionieren tatsächlich anders. Und das soll jetzt nicht herabsetzend klingen, „anders“ ist kein Synonym für „falsch“. Ich habe mich zum Beispiel lange dagegen gewehrt, dass Männer einfacher gestrickt sind als Frauen. Weil ich dachte, dass ich ihnen da etwas wegnehme, beispielsweise Intelligenz. Doch das Gegenteil ist der Fall. Indem ich voraussetze, dass meine Gedankengänge für einen Mann vielleicht zu komplex, ja sogar verschwurbelt sein können, versuche ich, mich klarer auszudrücken. Das dient meiner inneren Einnordung und seinem Verständnis meines Anliegens.

Das ist natürlich Arbeit, und zugegebenermaßen war es auch mir über weite Strecken zu anstrengend, meine Sprache so zu vereinfachen, dass ein Mann mich verstehen konnte. Wenn mein Vater mich gelegentlich fragte, ob ich in meinen Sätzen auch einen Punkt vorgesehen habe, war es leichter, mich darüber aufzuregen als in mich zu gehen und zu überlegen, was ich denn eigentlich sagen wollte. Und genau aus diesem Grund habe ich vor drei Jahren beschlossen, das Thema Mann zu den Akten zu legen – vollumfänglich. Ich hatte genug davon, meine Gedanken von diesem Themenkomplex beherrschen zu lassen. Ich wollte mir nicht mehr überlegen, was ich wie sage und wie das, was ich sage, beim Gegenüber ankommt, geschweige denn, welche Konsequenzen das für mich haben könnte oder was meine Worte an männlichen Verhaltensweisen nach sich ziehen. Aus. Fertig.

Genau dort befinden sich auch meine Freundinnen, manchmal mehr, manchmal weniger, doch immer sehnsüchtiger. Und ich unterstütze sie dabei, weil es nämlich für eine Voll50-Frau von unschätzbarem Wert ist, eine Zeitlang mit sich selbst zu verbringen. Herauszufinden, welche Art von Klarheit sie schätzt und braucht. Genau zu definieren, was ihr wichtig ist und ob sie vielleicht Ideale der Vergangenheit loslassen kann, weil sie ihr gar nicht mehr dienen. Und natürlich auch, ob sie Verletzungen aus eben dieser Vergangenheit genauso freisetzen kann. Das geht allerdings nicht innerhalb einer Beziehung, da braucht frau Zeit mit sich alleine.

Leider ist es in unserer Gesellschaft vielfach immer noch so, dass Alleinstehende leicht mitleidsvoll angeschaut werden. Weil es scheinbar immer noch dem Ideal entspricht, in einer Partnerschaft zu sein. Doch gerade im Voll50-Alter, wo der Vermehrungscharakter an Unwichtigkeit zunimmt, sind es Beziehungen jeglicher Art, die uns befeuern, befruchten, bereichern und beglücken können. Die Fixierung auf die Beziehung zu einem Mann halte ich für Single-Frauen in unserem Alter für zu limitierend. Es gibt jeden Tag die Möglichkeit, Verbundenheit zu leben – auch langfristig. Das weitet den Horizont, in dem Raum hat so viel mehr Glück und Klarheit Platz als der Fokus darauf, den „Richtigen“ zu finden. Und entlastet auch potenzielle Partner. Denn wenn sie nicht mehr dafür verantwortlich sind, uns glücklich machen zu müssen, weil wir es bereits sind, tun sie es umso lieber. Mein Partner kennt einen Satz besonders gut: „Mache mich nie unglücklicher als ich es ohne Dich wäre.“ Und er macht seine Sache sehr gut.

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FREITAG: Die Realität träumen

Meine Nächte sind ziemlich traumlos – zumindest fehlt mir meist jegliche Erinnerung an die Schlafabenteuer. Andere sind mir da voraus.

Auf Facebook werden einer ja immer wieder diese Tests angeboten, die je nach Langeweilegrad verlockend sind, sie auszufüllen. Auf diesem Weg kam ich ja auch einmal zur Erkenntnis, dass ich ein Mann bin, weil Facebook angeboten hatten, erkennen zu können, wer den Test ausfüllt. Ein anderer Test – von einer Freundin ausgefüllt – ergab, dass sie und ich uns eines Tages auf der Flucht vor dem FBI befinden würden. Und interessanterweise scheint das irgendwie Gestalt anzunehmen.

Heute morgen nämlich erreicht mich die Nachricht eines Traumes über mich. Tatsächlich wollte mich in diesem Raum ein FBI-Agent abholen – zu einem Date. Es war offensichtlich Tom Holland, jener Schauspieler, der die aktuelle Spider Man-Rolle innehat. Ganz hübsch, der Twen, aber nicht hübsch genug. Denn in diesem Traum findet er an meiner Stelle einen Brief, der ihm erklärt, dass ich für die CIA arbeite und ihn ausspioniert habe. Weshalb ich mich jetzt eine Weile verstecken muss, eben auch vor ihm. Besagte Freundin hat schon den Auftrag erhalten, eine Destination zu suchen, denn das Ende des Traumes war – Zitat: „In der nächsten Szene sieht man, wie Herr Spider Man mit seinen ganzen 20 Klonen die ganze Welt bereist, um Dich zu finden.“ Ich hoffe wirklich, dass meine Freundin einen unbekannten Strand auftut!

Meine Oma war auch eine große Meisterin des Träumens, und nicht selten hat sie vor allem die männlichen Familienmitglieder damit genervt, dass sie beim Frühstück diese Träume ausgewalzt hat. Anfangs habe ich mich angeschlossen, bis ich begriffen habe, dass es doch einiges über ihre seelische Befindlichkeit eröffnet hat. Im aktuellen Fall würde ich mich nicht auf eine Interpretation einlassen, sondern vielmehr die Träumerin um ihre Schlafphantasien beneiden. Denn leider verfüge ich um zu wenig Erinnerungskapazitäten, um mich nach dem Aufwachen an das in der Nacht Erlebte zu erinnern.

Dabei würde das wirklich hilfreich sein, denn viele Schreibideen entstammen den Träumen. Wir Schreiberlinge sind ja offen für sämtliche Impulse, die wir bekommen – extern und intern. Meine Träume sind so selten, dass ich mich immer noch an einen wiederkehrenden Traum aus meinen Teenager-Jahren erinnere, wo ich wiederholt von einer Windrose geträumt habe. Auch kein Wunder, dass man in der Pubertät nach Orientierung sucht und selten schnell weiß, wo Norden ist. Eine tiefgehende Interpretation dieses Traumes ist also vergeudete Zeit. Erstens, weil vorbei, zweitens weil inzwischen eingenordet. Wäre ja auch schlimm, wenn es mit voll50 immer noch um die Suche des Nordsterns – oder in meinem Fall Südsterns – ginge.

Vermutlich bin ich zu realistisch, um zu träumen. Möglicherweise bin ich aber auch zu vorsichtig, denn mir ist bewusst, dass Träume beziehungsweise Wünsche Realität werden können. Doch vielleicht ist es auch so, dass ich gar keine Träume brauche, weil ich nichts im Traum aufzuarbeiten habe. Weil mein Leben gut ist, wie es ist. Weil das Universum meine Vorstellungen bereits verwirklicht hat und ich damit absolut glücklich bin. Mein Mathematik-Lehrer hat immer gesagt: „Wer keine Träume mehr hat, ist ein Langeweiler.“ Bin ich das wegen mangelnder Traum-Abenteuer?

Als das Rauchverbot in Lokalen in Kraft getreten ist, hatte ich diese Angst. Ich dachte mir, dass ich nichts mehr erleben würde, weil ich damals beschlossen habe, dem Nachtleben den Rücken zuzukehren. Es war eine gute Vorbereitung auf die Lockdown-Zeit, die einige Monate später folgte. Da ging nämlich nicht nur Rauchen nicht mehr, sondern auch Fortgehen war unmöglich. Und ich merkte, dass es viele andere Dinge gibt, die das Leben spannend machen können – frau muss nur den richtigen Fokus legen. Und das obliegt ihr ganz alleine.

Aus dieser Erfahrung heraus weiß ich heute: Wir können warten, bis sich Träume durch Zauberhand erfüllen ODER wir können Schritt für Schritt unseren eigenen Traum leben. Auch wenn meistens von Schlafzuständen die Rede ist, glaube ich fest an die Qualität von Tagträumen. Und die in die Tat umzusetzen, ist ein ziemlich guter Zeitvertreib. Probieren Sie es einfach einmal aus!

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FREITAG: Der letzte, mit dem ich…

…geschlafen habe“, höre ich mit einem Ohr bei meinem letzten Eissalon-Besuch. Der Rest versank in der allgemeinen Geräuschkulisse. Und ich mache die Probe aufs Exempel.

Ich habe ja ein ganz inniges Verhältnis zu meinen Mobiltelefonen. Nicht nur weil sie so wunderbare altmodische Tasten haben, sondern auch, weil sie für mich ein Symbol der Verbundenheit darstellen. Leider sind zwei von den dreien nicht mehr wirklich benützbar, weil sie ein Betriebssystem haben, das von den herkömmlichen App-Anbietern gar nicht mehr registriert, geschweige denn bedient wird. Also speichere ich dort den Soundtrack meines Lebens hinauf und schone damit den noch funktionierenden BB und dessen Speichervolumen. Unnütz zu sagen, dass er nur die Hälfte der inzwischen normalen Speicherkapazität besitzt. Aber ich liebe ihn, das reicht als Argument für dieses Gerät. Über Oldtimer-FahrerInnen regt sich schließlich auch keiner auf.

Nachdem mein Alltags-BB also quasi wie ein normales Mobiltelefon funktioniert, passieren hier auch die ganz normalen Dinge. Dass ich eine Werbung von einem Versandhaus bekomme, wenn ich kurz vorher etwas bestellt habe. Dass ein Thema aufpoppt, über das ich mit einer Freundin gesprochen habe. Und das fällt sogar mir auf, obwohl ich sonst eine große Anhängerin der Synchronizität bin. Das schärft allerdings meine Wahrnehmung insofern, dass ich mich stets bemühe, freundlich und charmant zu sprechen. Man weiß ja nie, was der „große Geist“ aufschnappt.

Im Eissalon also schnappt mein Geist den Gesprächsfetzen einer jungen Frau auf: „Der Letzte, mit dem ich geschlafen habe…“ Gerne hätte mein Gossip-Ich gewusst, um wen es sich dabei gehandelt hat, doch überlagert der Umgebungslärm den Rest des Satzes. Und weil ich ja der Meinung bin, dass meine Sinne nichts wahrnehmen, was nicht einen tieferen Sinn für mich besitzt, gebe ich den Fetzen in die Suchmaschine ein. Und stelle fest, dass sie mich besser kennt als ich sie.

Als erstes bekomme ich eine Werbeanzeige für T-Shirts, wo man sich „Das letzte Mal, als ich normal geschlafen habe“ drauf drucken lassen kann. Der nächste Eintrag ist ein Übersetzungsangebot für „Ich habe lange geschlafen“, gefolgt von der Antwort auf die Frage, „warum Sie letzte Nacht schlecht geschlafen haben.“ Auch eine Motorsport-Website wird vorgeschlagen, die sich einerseits mit „Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Menschenverachter“ und andererseits mit „Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Die FIA“ beschäftigt.

Mein Mobiltelefon beziehungsweise die Suchmaschine scheint also genau zu wissen, dass ich in einem Alter bin, wo es völlig unnütz ist, schlüpfrige Webseiten zum Thema letzter Sexualkontakt anzubieten. Scheinbar geht es mehr um Motto-T-Shirts und Schlafstörungen bei Frauen im Voll50-Alter als um einen regen Austausch. Nicht dass ich besonders viel von Internet-Foren halte, doch eines zu diesem Thema hätte mir die Suchmaschine schon vorschlagen können. Wo ich dann allerdings recht wenig beizutragen gehabt hätte, was wechselnde Partner angeht. Ich bin in diesem Zusammenhang eine Anhängerin des Binärcodes, der Computersprache mit 0 und 1. 1 und 0 entsprechen bei der Computersprache dem jeweiligen Spannungszustand: 1 bedeutet „an“ beziehungsweise „Strom fließt“ und 0 bedeutet „aus“ beziehungsweise „Strom fließt nicht“. Ich habe absolut kein Problem damit, dass bei mir kein „Strom fließt“, hatte das ja auch schon ganz proaktiv für mich beschlossen und war absolut zufrieden damit. Seit 15 Monaten allerdings ist die Null auf die Eins gesprungen, und diese Eins ist für mich die einzige Alternative zur Null. Vom seriellen Partnerschaftsmodell, also 1 und 1 und 1 und so weiter, habe ich mich vollständig verabschiedet. Käme meine Eins ins Wanken, käme die Null wieder herein gerollt. Auch gut. Doch die Eins ist definitiv besser.

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FREITAG: BlaBlaBlaGPT

Jetzt muss es wohl sein, dass ich mich mit dem Thema Künstliche Intelligenz auseinandersetze. Obwohl ich das alles ja wirklich nicht verstehe.

Kürzlich – oder ist es doch schon länger her – strahlt mich eine meiner Freundinnen an, weil sie nämlich ChatGPT entdeckt hat. Und entdeckungsfreudig wie sie ist, natürlich auch gleich ausprobiert hat. Zugegeben: Das, was sie da zaubert, ist beeindruckend. Schöne Bilder, die Texte habe ich nicht gesehen beziehungsweise gelesen. Aber sie schwärmt von der Leichtigkeit, mit der das Schreiben plötzlich von den Fingern rutsche.

Wie bei allem, womit ich mich noch nicht befasst habe, bleibe ich vorerst offen. Denn ich kann kaum beurteilen, was ich nicht kenne. Mitreden fällt auch schon schwer, außer „Ich werde darüber nachdenken“ oder „Ich freue mich darauf, wenn Du es mir zu einem gegebenen Zeitpunkt erklärst“ ist nicht drin im Moment. Das Leben will gelebt werden, Balance erst einmal wieder hergestellt werden nach den Anforderungen der letzten Wochen.

Nachdem ich in den vergangenen Tagen schon gehört hatte, dass Elon Musk gemeinsam mit anderen zeitgeistigen Kapazundern ein Manifest verfasst und darauf aufmerksam gemacht hat, dass diese Technologie inzwischen so weit fortgeschritten sei, dass selbst die Entwickler ihre Programme nicht mehr verstehen oder wirksam kontrollieren könnten, flattert mir heute eine weitere Information zu diesem Thema in den Posteingang. Zwei Studien zeigen, dass meine Branche massiv von diesem ChatGPT-Zeug betroffen ist, wenn es tatsächlich in der Praxis eingesetzt wird. Bei kreativem Schreiben beispielsweise liefere es schon beachtliche Ergebnisse.

Ich bin zwiegespalten. Auf der einen Seite bin ich ziemlich proaktiv, wenn es um die Bewältigung von Ängsten geht. Andere ducken sich, ich schaue ihnen in die Augen. Das hat immer schon gut funktioniert und hat mir bislang ein ziemlich angstbefreites Leben beschwert. Auf der anderen Seite bin ich unsicher, ob sich dieses ChatGPT-Zeug durchsetzen wird. Und ich deshalb meine Zeit vergeuden könnte durch das Vertrautmachen mit diesem Thema. Denn wenn eines für mich immer wichtiger wird, dann das: Ich möchte meine Zeit sinnvoll nutzen und verwenden.

Als wäre unsere Zeit nicht schon komplex genug, hängt nun auch noch dieses Werkzeug über unseren Köpfen, vor allem über jenen von Schreiberlingen unterschiedlicher Provenienz. Für mich erscheint es unvorstellbar, dass eine Software genau die Ideen gebären kann wie das menschliche Gehirn mit all seinen gedanklichen Twists und wunderbaren Absonderlichkeiten. Und abgesehen davon: Wozu brauchen wir das überhaupt?

Vor über zwei Jahrzehnten habe ich in Indien einer Frau dabei zugesehen, wie sie eine geschotterte Straße gekehrt hat. Mit einem Besen, ja. Und ich weiß noch, dass ich mir damals dachte, dass ein Staat wie Indien ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung hat, um Aufgaben wie diese zu vergeben. Ich bin sicher, dass diese Frau am Abend zufrieden damit war, etwas beigetragen zu haben – zum Lebensunterhalt, zum Leben der Öffentlichkeit, zu einer größeren Ordnung. Meinem Saugroboter, der eh kaum zum Einsatz kommt, spreche ich solche Gefühle absolut ab. Muss er auch nicht haben, weil er eine Maschine ist.

Ebensowenig wie ein Servierroboter, der statt des Kellners oder der Kellnerin das Geschirr in die Küche bringt. Ich stelle mir elektronische Helferlein wie diese als ziemliche Pragmatiker vor.

Doch das ist eben nicht alles, was im Leben zählt. Ich kenne eine Frau, die Zeit ihres Lebens hochgradig kreativ war. Doch weil sie Jahrzehnte mit einem Pragmatiker zusammen gelebt hat, ging diese wunderbare Gabe langsam und leise baden. Es ist eben nicht alles gut, was nützlich ist. Und überhaupt: Wer definiert denn, was nützlich ist? Einem kranken Menschen mag ein Medikament nützlich sein, aber genauso ein Strauß Blumen oder eine schöne Melodie im Ohr. Braucht es Schnittblumen? Nicht wirklich. Braucht es Musik? Es geht zur Not auch ohne. Doch wird beides deshalb weniger geliebt? Nope.

Nehmen wir den schlimmsten Fall an, nämlich dass Redaktionen und Verlage, die von Robotern geführt werden, nur noch ChatGPT einsetzen. Dann werde ich mir wohl einen neuen Job suchen müssen. Die Studien haben ergeben, dass gewisse Branchen davon relativ unbehelligt bleiben werden, beispielsweise die Gastronomie, Kfz-Mechanik und Jobs in der Öl- und Gasförderung, aber auch in der Forst- und Landwirtschaft. Insofern ist der Gedanke, mit meinem Partner und einer Freundin eine kleine südafrikanische Pop-up-Küche zu starten, ziemlich zukunftsträchtig. Ob ich mich auf einer Ölplattform einfinden könnte, kann ich schlecht beurteilen. Abgesehen von Fake-Profilen auf Instagram, wo verwitwete Väter mit dieser abenteuerlichen Berufswahl Eindruck zu machen versuchen, und dem Film „Armageddon“ gibt es keine Anknüpfungspunkte oder Überschneidungen. Und in einer Autowerkstätte wäre ich vermutlich auch nur ein Hindernis, weil ich gerade einmal wissen will, wo sich die Zündkerzen befinden. Doch vielleicht gehe ich in die Landwirtschaft, ziehe statt einer südafrikanischen Pop-up-Küche Kartoffeln und Karotten heran. Vielleicht geht sich sogar beides aus? ChatGPT kann mir vielleicht meinen aktuellen Job nehmen, aber bestimmt nicht die Liebe zu diesem Leben, das immer wieder Überraschungen bereit hält – egal, ob man dafür bereit ist oder dazu gezwungen wird. Veränderung ist immer eine zum Besseren. Punkt.

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FREITAG: Langsamkeit hat was

Manchmal verlangsamt sich das Leben so, dass man nur noch einschlafen kann. Und das ist noch nicht einmal die schlechteste Option, wie ich feststellen durfte.

Zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres durfte ich unangenehme Erfahrungen mit dem öffentlichen Verkehr machen. Und beide Male hatten sich die BahnarbeiterInnen des jeweiligen Landes ausgerechnet jene Tage für einen Streik ausgesucht, an dem ich mich zu einer Zugfahrt durchgerungen hatte. Und das auch nur, weil mein aktuelles Auto ja schwächelt und das neue noch nicht angekommen ist. Zusätzlich kamen auch noch Bauarbeiten an der Bahnstrecke dazu, die man ausgerechnet an einem Wochenende terminiert hatte. Gut, für Bauarbeiten an Straßen und Gleisen ist praktisch nie der richtige Zeitpunkt, doch ich bin schon sehr gut darin, mir die richtigen Tage auszusuchen, auch wenn es mir im Vorhinein nicht klar ist. Bahnfahren bedeutet für mich immer, mich vor der Ticketbuchung zu fragen, ob ich Verwerfungen ertragen kann oder mir vielleicht doch lieber das Auto meiner Freundin ausborge. Doch bald wird sich auch diese Überlegung erledigt haben – hoffentlich!

Doch vorerst musste ich erschwerte Bedingungen einstecken. Zuerst packte ich mich in einen Bus des Schienenersatzverkehrs. Anfangs dachte ich noch, dass ich vielleicht zwei Sitze für mich haben könnte, um mich auszubreiten und den Kontakt mit umliegenden Personen so auf Distanz zu halten. Wurde leider nichts, als sich eine sportliche Frau im Schianzug neben mich setzte und mir gerade soviel Spielraum ließ, dass ich meinen Kopf an die Fensterscheibe lehnen konnte. Rund um mich herum wurde geniest, von Infektionen durch Gespräche ganz zu schweigen. Ich bin immer wieder fasziniert davon, worüber sich Menschen Gedanken machen und die dann auch noch glauben, aussprechen zu müssen. Aber das bin halt ich, die Small-Talk-Anti-Queen. Je älter ich werde, umso weniger habe ich Lust darauf und erkenne im Gegenzug mehr und mehr die Vorteile von selektiven Wortspenden. Ich muss nicht zu allem eine Meinung haben, und wenn ich sie habe, muss ich sie nicht unter allen Umständen nach außen tragen. Entspannt!

In dieser bedrängten Lage blieb mir nur übrig, mich einzustöpseln und mit gebeugtem Haupt einzuschlafen. Was überraschender Weise gut klappte, auch wenn mein Genick danach starr wie eine altbackene Semmel war. Aber hey, ein Kaffee wartete am Zwischenstopp-Bahnhof, die Sonne ebenso und das Strecken der gefalteten Glieder klappte wunderbar. Relativ gut gelaunt bewältigte ich deshalb dann auch die Teilabschnitte Zwei und Drei, wo ich ausreichend Platz hatte, um das Ansteckungsrisiko jeglicher Art in engen Grenzen zu halten.

Auf der Rückfahrt blieb mir glücklicherweise das Busfahren erspart, dafür durfte ich eine Sightseeing-Tour durch die Berge machen, der ich mich normalerweise nie ausgesetzt hätte. Regionalbahnen, die bei jedem Misthaufen stehen bleiben, mögen idyllisch sein, doch wie beim Auto möchte ich auch vom Zug möglichst direkt von A nach B gebracht werden. Nicht an diesem Tag! Und da ich es im Vorfeld schon wusste, habe ich schon zeitnah damit begonnen, Widerstand abzubauen. Denn ich habe festgestellt, dass es viel mehr Energie kostet, sich dem Leben entgegen zu stellen, als mit ihm zu fließen.

Ich wurde belohnt mit einem Sechser-Abteil in einer etwas älteren Zuggarnitur, in der ich seit Jahren nicht mehr gesessen bin. Sie erinnern sich vielleicht noch, dass man dort die Vorhänge zuziehen konnte und vor dem Abteil eine Lampe leuchtete, wenn es besetzt war. Ich musste an eine Nachtzugreise nach Venedig in meinen persönlichen 20ern denken, wo ich es mir mit einer Freundin sehr gemütlich gemacht hatte, als zwei Männer ins Innere drängten und uns bis zur Lagune vorzüglich unterhielten. Ach ja!

Im Sechser-Abteil des Jahres 2023 zog ich mir wieder die Schuhe aus und zog die Beine an meinen Körper. Draußen zogen winterliche Nebelschwaden und Schneestürme an mir vorbei, und es gab noch nicht einmal Gegend zu sehen. Also streckte ich mich über drei Sitze aus, auch weil ich wusste, dass in den kommenden 90 Minuten kein Mensch zusteigen würde. Nach fünf Minuten Betrachtung des Wetter-Einerleis nickte ich ein und wachte pünktlich am nächsten Bahnhof auf.

Es war ein guter Schlaf gewesen, einer, zu dem ich nur gezwungen worden war, weil mich das Leben auf eine langsamere Strecke geschickt hatte. Weil ich meinen Widerstand gegen Umwege aufgegeben und das beste aus meiner Situation gemacht hatte. Eine kleine sentimental journey eingegangen war, die mich zurück gebeamt hatte in eine Zeit, in der sich die Welt allgemein noch langsamer gedreht hat. Und wo sich keiner darüber aufgeregt hat, wenn der Zug nicht 220 Stundenkilometer fuhr. Es dauerte eben, so lange es dauerte. Und angekommen sind wir auch – in Venedig, aber auch in Salzburg. Nach dem Bahnschlaf konnte ich am Ende sogar wieder das Busfahren ertragen.

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FREITAG: Von der Prinzessin zur Königin

Ich bin ja ziemlich brainy, aber bei manchen Dingen bin ich einfach gestrickt. Zum Beispiel wenn es um den Kauf eines neuen Autos geht. Da gilt: reduced to the max. Also mein max.

Ein Auto muss für mich vor allem eines liefern: Betrieb. Es muss funktionieren, wenn ich es brauche, was ohnehin nicht oft vorkommt. Doch dann will ich keine Gedanken an alte Zündkerzen verschwenden und auch nicht jedes Mal ein Gebet gen Himmel schicken, dass mich die himmlische Obrigkeit heil von A nach B bringen möge. Einsteigen, starten, Musik anstellen und aufs Gas steigen. So und nicht anders möchte es die Autofahrprinzessin in mir.

Allerdings müssen selbst Prinzessinnen in der heutigen Zeit begreifen, dass das Wünschen helfen kann, allerdings nicht obligatorisch sein muss. Schon gar nicht, wenn es um ein Auto geht, das mehr aus Elektronik als Schraubteilen besteht. Und das Einsteigen, Starten, Musik anstellen und Gasgeben endenwollend ist, wenn eben diese Elektronik immer wieder rülpst. Da rutscht einer nämlich das Lied auf den Lippen in den Hals, wo es dann stecken bleibt. Und das ist für die Autofahrprinzessin alles andere als ein dauerhafter Zustand.

Also habe ich mich dazu durchgerungen, ein neues Auto zu kaufen. Und das möglichst bei der Werkstatt meines Vertrauens, weil es im Grunde immer um das Service geht. Das muss stimmen, das Auto kommt danach. Und ich habe bereits in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, wie leidenschaftlich in dieser Werkstatt Autos an den Mann und die Frau gebracht werden. Die lieben Autos richtig. Und heute durfte ich das auch wieder erfahren, denn das Leuchten in den Augen des zuständigen Verkäufers war unschwer zu übersehen. Als er mir von Tempomat und Sitzheizung, Fußgängerschutz und Sitzbezügen vorgeschwärmt hat.

Es ist wirklich immer eine Freude für mich, wenn ich Menschen begegne, die von ihrem Beruf begeistert sind. Denn es gibt für mich kaum Schlimmeres, als wenn sich Leute täglich acht Stunden durch eine Tätigkeit schleppen, die ihnen mitnichten entspricht. In diesem Sinne habe ich dem Verkäufer mit Wohlwollen zugehört, bevor ich ihm meine Meinung übermittelt habe. Dass mir unendlich langweilig werden würde, wenn ich die Geschwindigkeit meinem Auto überlassen würde. Dass ich ausreichend eigene Hitze besitze und deshalb die Sitzheizung vermutlich nie in Betrieb nehmen werde. Dass ich nicht die Absicht habe, einem Fußgänger so nahe zu kommen, dass er vor mir beschützt werden möchte. Dass mir die Bezüge solange egal sind, bis ich mir Augen am Allerwertesten angeschafft habe. Was kaum der Fall sein wird, weil meine Prioritäten ganz woanders liegen.

Wichtig an einem Auto sind für mich genau vier Dinge: die Farbe, elektrische Fensterheber, ein Aux-Anschluss für mein Musikhandy und ein Radio. Für alles andere möchte ich nicht bezahlen, doch das ist serienmäßig vorhanden. Und wird mich vermutlich in Versuchung führen, es irgendwann einmal doch zu benützen. Am ehesten bietet sich vermutlich die Sitzheizung an, sollte ich einen frühen Termin haben und mich vor sechs Uhr wintermorgens ins Auto schleppen müssen. Dabei wird mir schon die Farbe des neuen Autos die Seele wärmen. Sie heißt spring blue und ist genau das richtige für ein Frühlingskind wie mich. Aus Karmaviolett wird also frühlingsblau, aus einer latent verunsicherten Autofahrprinzessin hoffentlich bald wieder die Queen of the Road. Ich kann es kaum erwarten. Und das Gefährt wird sogar Platz für die zwei Hunde meines Partners haben. Doch das wird noch eine ganz eigene Geschichte.

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