FREITAG: Ein Lockdown-Tag

Ach ja, wieder einmal Lockdown. Ach ja, wieder einmal die Hoffnung, alles aufarbeiten zu können, was liegen geblieben ist. Ach ja, wieder alles anders.

Ich gebe es ehrlich zu: Nach dem Schock des ersten Lockdowns hatte ich mich ganz gut eingerichtet in meiner kleinen Welt, in der ich nur mache, was mir gefällt. Ich hatte meine eigene Geschwindigkeit, Dinge zu tun und zu lassen. Ich war im Rhythmus von Aktion und Relaxion, trotzdem verbunden mit Menschen, die mir am Herzen liegen und insofern ohne jegliches Einsamkeitsgefühl. Ehrlich gesagt, dachte ich mir in den vergangenen Monaten immer wieder: So ein Lockdown wäre jetzt mal wieder schön, um genau in diesen Seinszustand zu kommen.

Bäm, manifestiert! Ja, ich war auch unter jenen, die am Samstag noch auf die Jagd nach Weihnachtsgeschenken gegangen ist – allerdings nicht in einem Einkaufszentrum, sondern in der Stadt, die seit Montag – auch wenn es angesichts der aktuellen Lage pietätslos klingt – ausgestorben war. Hin und wieder huschten Menschen um Ecken, manche schlenderten verloren durch die Gassen, als würden sie etwas suchen, was es noch nie gegeben hat – und sich gleichzeitig fragen, warum sie hier gestrandet sind. Mein Hafen war die Augenärztin, die mir attestierte, dass sich meine Sehkraft in über drei Jahren nicht verändert hat. Ein wahres Geschenk in meinem Alter, auch wenn die Augen häufiger tränen wegen der doch gesteigerten Bildschirmzeit.

Zum Weinen war auch der gestrige Tag. Gleich nach meinem zweistündigen Aufwachritual die Nachricht am Handy, dass wir in der Familie eine C-Scheisserchen-Invasion haben. Ein Familienmitglied im Krankenhaus, das andere unter Betreuung zuhause. Und nein, es hat nicht die jüngeren unserer Mischpoche getroffen. Mein Vater fragte mich heute morgen, ob es Neues aus dem Familienlazarett gäbe – soweit sind wir inzwischen. Zusätzlich musste ich mich von meiner Kusine verabschieden, die wieder über den Atlantik geflogen ist und deren Verabschiedung mich seit Jahren traurig zurücklässt. Ich kann mich noch erinnern, als ich das erste Mal geweint habe bei ihrem Abschied. Damals dachte ich mir, dass ich alt werde. Nun ja, ich habe mich ans Altwerden inzwischen gewöhnt.

Danach ein Gespräch mit einer Freundin über die erschreckenden Ausmaße, die Pubertät annehmen kann und die man im Grunde nehmen muss, auch wenn man solche Angelegenheiten normalerweise noch nicht einmal mit den Fingerspitzen anfassen möchte. Über Liebe und Gesprächsbereitschaft, die manchmal als Werkzeuge im gelingenden Miteinander versagen. Über Verzweiflung und Hilflosigkeit, denen man sich sich jeden Tag aufs Neue stellen muss, auch wenn man wirklich nicht mehr mag.

Bei einem Online-Vortrag am Abend sprachen Frauen dann über ihre Belastungen während der Pandemie, und nein, auch das war kein Grund zur Freude. Man sprach über strukturelle Ungerechtigkeit, Stutenbissigkeit und die zeitliche Not, sich selbst als Frau auch nur für zehn Minuten am Tag wichtig zu nehmen. Frauen funktionieren, wenn sie es müssen, war der Tenor. Ob sie es wollen oder gar etwas davon haben, steht nicht zur Diskussion. Wenn nicht wir, wer dann? Über die Antwort auf diese Frage könnte ich Stunden schreiben, doch das sprengt den heutigen Rahmen.

Am Abend, als ich auf die blau-weißen, selbstgestrickten Socken meiner Mutter an meinen Füßen starrte, dachte ich darüber nach, wie dieser Tag ohne Lockdown ausgesehen hätte. Vermutlich hätte ich zusätzlich Zeit mit der Parkplatzsuche verbracht, weil der Vortrag in Präsenz geplant war. Vermutlich hätte ich Zeit im italienischen Eiscafé unter einem Heizschwammerl vergeudet, um meinen Postgang mit einem Nikotin-Kaffee zu verbinden. Hätte das irgendetwas verändert? Nein. Im Gegenteil. Der Laptop wäre später abgeschaltet worden, weil sich meine Arbeit nach hinten geschoben hätte. Und die läuft nach wie vor wie geschmiert. Vor Mitternacht ins Bett zu kommen, hat was.

Die gesprochene Version dieses Textes finden Sie auf www.voll50.com/category/podcast.


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