Den Wind gibt es hier wie dort, meine Bräune wird sich wohl auch noch ein paar Tage halten und das Arbeiten ist mir ja auch geblieben. Doch sonst?
Meine Füße sind selbst nach drei Tagen immer noch schwer, speziell mein kleiner Zeh macht erst recht Probleme, seit er sich in Schuhe zwängen muss und nicht mehr an der Sonne vor sich hin heilen darf. Das konstante Sitzen hat mich wieder, die Katze residiert ja in einem kleinen, kuscheligen Palast in der Gartenhütte, mit der sie mein Ex beschenkt hat. Obwohl ich eine Katzenfrau bin, muss ich sagen: Hunde halten einen mehr auf Trab, speziell wenn man eh zum Sitzen neigt. Doch die Situation mit meinen fluggeschädigten Beinen macht mir eines deutlich: Ich soll es wohl zuhause langsam und sanft angehen.
Das wird neben dem Wind und dem Arbeiten wohl auch bleiben, denn frau gewöhnt sich daran, an die Entschleunigung. Wenn es bis zu sechs Stunden am Tag keinen Strom gibt, tut man sich leicht, ein Buch zu lesen. Weil ein Großteil der Arbeit schon erledigt ist. Zeitmanagement funktioniert in diesem Umfeld sehr gut, weil extern initiiert. Und mit Gegebenheiten zurecht kommen, kann ich ganz gut. Der Knackpunkt ist bei mir immer der, wenn ich erkenne, dass ich Dinge oder Situationen verändern kann. Da werde ich hyperaktiv, körperlich und mental. Doch wie ist gegen die staatliche Stromversorgung anzukommen? Gar nicht. Also mache ich das Beste daraus, weshalb sich Arbeit vielfach eben nicht als Arbeit angefühlt hat.
Hier gibt es von allem viel. Meine Bücher sind wieder um mich, mein Terminkalender füllt sich zusehends, Strom gibt es (noch) ausreichend. Und ich sitze eben wieder vor meinem Computer mit der Gewissheit, dass ich es ganz alleine bin, die für das Zeitmanagement verantwortlich ist. Gut, ich könnte mich darauf hinausreden, dass es hier ja keine Wärme gibt, unter die ich mich mit einem Buch breiten könnte. Doch die Couch ist auch nicht unbequem und säuselt mir ein „Komm‘ schon“ ins Ohr. Auch die Windspiele im Garten erinnern mich daran, den Augenblick zu genießen. Doch die Stimmung hier ist: Mach, tu etwas.
Das war immer schon der Grund, warum es mich nach Afrika gezogen hat. Weil ich dort sein konnte, weil ich weit genug vom Leistungsdenken weg war, um es in Frage zu stellen und dann die Pausetaste zu drücken. Zuhause fällt mir das mit der Pausetaste wirklich schwer, gerade wenn ich mir vornehme, im Augenblick zu sein. Denn gerade in diesem Augenblick, während ich diese Zeilen schreibe, werde ich daran erinnert, dass ich noch mein Visionboard für 2023 machen will. Dass die Tulpen in der Vase neues Wasser brauchen. Dass das Kochgeschirr in den Geschirrspüler gehört. Dass ich meinen Kreativitätstechniken-Workshop vorbereiten möchte. Dass ich mich endlich bei meinen Nachbarn melden sollte, um einen Termin für die Übernachtung des Kleinen auszumachen. Zum Vergleich: In den vergangenen Wochen lief es gemächlicher. Wenn es Strom gab, habe ich gearbeitet. Wenn der Pool voller Blätter war, habe ich sie rausgefischt. Wenn die Hunde zu viel Dreck ins Haus getragen haben, kam der Besen zum Einsatz. Und wenn Essenszeit war, wurde gekocht. Ich empfinde mein Leben in Europa als viel komplexer als in Afrika. Und ich frage mich, ob es tatsächlich so sein muss oder ob es einen Weg geben könnte, der Komplexität mit mehr Einfachheit zu begegnen. Doch ich merke, dass ich allein durch diese Idee in einen Gehirnstrudel hineinkomme, weil mir bewusst wird, dass Komplexität nicht einfach durch ein Fingerschnipsen aufgehoben werden kann.
Doch vielleicht kann es so funktionieren, dass ich in einem ersten Schritt einfach hinterfrage, ob Verhaltensweise und Dinge wirklich notwendig sind. Warum ich etwas mache und ob ich es auch lassen kann. Mir ist momentan sehr nach lassen, aber das mag auch der Umstellung geschuldet sein. Upbeat-Songs an der Ampel sind eben ganz etwas anderes als Perlhühner-Schreie aus der Palme. Wird schon, denke ich mir. Und warm wird es bestimmt auch von selbst wieder. Bis dahin habe ich Vitamin-D-Tabletten gegen den Winterblues, liebevolle Erinnerungen und den festen Plan, allem die Zeit zu geben, die benötigt wird. Vor allem mir selbst.
Die gesprochene Version dieses Textes finden Sie auf www.voll50.com/category/podcast
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