FREITAG: Einfach nur leben

In den Schlagzeilen des heutigen Tages finde ich vieles, nur nicht das wirklich große Drama. Also gebe ich mich der Einfachheit hin.

Es ist einer dieser Tage. Man wacht nach acht Stunden auf, sieht die Wassertropfen auf die Oberfläche des Teichs prasseln und greift in das feuchte Fell der Katze. Während das Kaffeewasser heißer wird, fällt die Tarotkarte des Tages aus dem Stapel, die Meditationsmusik untermalt das Schreiben über die Symbolik der neun Kelche. Die Symbolik stimmt den zufriedenen Grundton für den Tag an, die Yoga-Übungen bewegen den Körper in die gewünschte Richtung.

Es ist einer dieser Tage, an dem es einen Termin gibt, an dem man Freude hat. Wo man sich in Einklang fühlt, weil man wahrgenommen, gehört, verstanden wird. Bei dem man sicher sein kann, dass sich währenddessen und danach etwas bewegen wird – wozu sonst sollte man sich treffen? Es flutscht, vorher wie nachher. Das Paket liegt abholbereit im Postamt, die Frau hinter dem Schalter strahlt Verbindlichkeit und Wohlwollen aus, auch wenn ein älterer Mann offenbar jemanden genau dann zum Reden braucht, wenn sich fünf Menschen hinter ihm stapeln. Und geduldig warten, bis er bekommen hat, was er wollte – Aufmerksamkeit und einen Brief.

Es ist einer dieser Tage, wo man beim Mittagessen zusammensitzt und über ganz praktische Dinge spricht. Wie man Malerfarbe von der Haut bekommt. Welche Sommerpläne auf dem Programm stehen. Wie es den Familienmitgliedern geht, die gerade nicht am Tisch sitzen. Der Regen beruhigt das Gesprächsklima, behält es im Fluss. Nach der letzte Tasse Kaffee geht jeder seiner und ihrer Wege, weil alle wissen, was als nächstes ansteht.

Es ist einer dieser Tage, wo alles ineinander greift. Arbeit passiert, während man lebt. Familie passiert, während man ist. Freundschaft passiert, während man im Fluss ist. Es ist einer dieser Tage, der völlig unspektakulär im richtigen Rhythmus vor sich hin tröpfelt, begleitet von den zwitschernden Vögel, dem Miauen der Katze, dem Verkehr vor der Haustüre. Es muss nicht immer das ganz große Drama, die ganz große Oper sein, auch wenn ich das lange geglaubt habe. Auch wenn mich das Leben das lange glauben hat lassen.

Es ist einer dieser Tage, an dem ich – wie die neun Kelche mich eingestimmt haben – zufrieden damit bin, einfach Teil des Lebens sein zu können. Mein Leben auch in seinem Fluss wahrzunehmen und fließen zu lassen. Dass auch die Gedanken im Fluss sind, beim einen Ohr rein und beim anderen völlig ohne Stupsen hinaus fließen, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Am Ende des Tages werde ich erzählen können, dass….ja was? Es gab keine spektakulären Höhepunkte, doch es war alles gut.

Die gesprochene Version dieses Textes finden Sie auf www.voll50.com/category/podcast


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