FREITAG: Eingrooven auf die Eremitage

Jetzt ist es offiziell ein Jahr her, dass ich das Meer gesehen habe. Und viel mehr ist in den vergangenen Monaten wirklich nicht dazu gekommen. Eine Herausforderung.

Ja, ich bin zuhause geblieben, weil einen Augenblick vor dem Buchen meiner Reise dieser zweite C-Strang aufgetaucht ist und innerhalb kürzester Zeit viele Flughäfen für Reisende aus dem Regenbogen-Land dicht gemacht haben. Zumindest hierzulande. Und auch wenn ich nichts gegen einen längeren Aufenthalt im Süden hätte – die Rückkehr würde ich doch gerne weitestgehend als gesichert annehmen wollen.

Ob das in Zukunft noch möglich ist? Also Sicherheit? Vermutlich nicht in der Form, wie wir sie bislang kennen. Zumindest sind die äußeren Umstände so volatil, dass viele gerne zuhause bleiben, weil das ja noch einigermaßen stabil ist. Da hat man, was man braucht und will. Es freute mich wirklich, als ich kürzlich hörte, dass die häusliche Gewalt entgegen aller Unkenrufe vor einem Jahr doch nicht gestiegen ist. Offenbar haben viele nicht gegeneinander gekämpft, sondern sich zusammen gerauft. Und diese Resilienz brauchen wir nach wie vor.

Mir ist meine Auszeit zur Jahreswende auch überraschend leicht gefallen. Der Winter war gefühlt nicht so kalt wie befürchtet, die Entspannung passierte auf dem Sofa irgendwie nebenbei. Zu Weihnachten habe ich eine CD mit Meeresrauschen bekommen, dazu einen Raumduft namens „Sea Breeze“, falls ich in ein Sehnsuchtsloch fallen sollte. Ein Afrikaans-Sprachkurs sollte meinem Fernweh ebenso abhelfen wie zwei entsprechende Kochbücher und ein Solarglas, das ich mit Souvenirs füttern kann. Mein Umfeld war also gleichermaßen einfalls- und hilfreich vorbereitet auf mein Daheimbleiben. Und schon alleine das hat mir das Feststecken erleichtert.

Ja, ich empfinde es immer noch so, bei aller Vernunft. Und es ist vor allem angesichts einer gewollten Jahresplanung keine gute Ausgangsposition. In Freiheit zu kalkulieren ist keine Kunst, zeigt die nach wie vor aktuelle Situation. Vor allem, wenn äußere Umstände eine wichtige Rolle spielen. Was bleibt also? Das zu organisieren, was unabhängig davon ist. Die Neugestaltung eines Zimmers, eine Ernährungsumstellung oder Schneeschaufeln vielleicht. Aber natürlich auch die eigene Entwicklung. Auch wenn Martin Buber sagte, dass wir am Du erst zum Ich werden, gibt es doch Bereiche, an denen wir alleine arbeiten können. An unserer Selbstwirksamkeit. An unserer Gelassenheit. An unserer Achtsamkeit. Mir hatte ja die Zeit im Frühling 2020 gezeigt, dass ich mich darin so geübt hatte, dass mir die Lockerung der Ausgangsbeschränkungen nahezu einen Overkill an Eindrücken beschert hatte, den ich schwer verarbeiten konnte. Und so wird es vermutlich im heurigen Frühjahr wieder werden.  Daraus kann ich lernen, nämlich indem ich mich langsam, aber sicher doch damit abfinde, dass in mir einen Eremitin schlummert. Im Tarot gibt es dafür eine eigenen Karte. Sie bedeutet, dass man das Glück und die Kraft in sich selbst suchen soll. Dass man sich von der Intuition leiten lassen soll. Und dass man seine Gedanken ruhig halten soll. Ist jetzt für jemanden wie mich eine ziemliche Herausforderung, obwohl ich meine Interessensgebiete eh schon eingedampft habe.

Vom Zubereiten eines orientalischen Tomatenkompotts habe ich gelernt, dass aus Eindampfen etwas sehr Schmackhaftes entstehen kann. Weil es ja immer auch Konzentration bedeutet. Normalerweise entsteht in der südlichen Wärme ein Plan für die Zukunft, heuer bin ich davon weit entfernt. Letztes Jahr war bestimmt von „Voll fünfzig und halb philosophisch“, heuer habe ich begriffen, dass nur hilft, im Moment zu sein und von dieser Position aus spontan Chancen zu ergreifen. Welche das sein werden, kann vermutlich nur im Augenblick erkannt werden. Mich gegen das Außen zu stemmen, wird mich mehr Kraft kosten, als ich habe. Und normalerweise habe ich Kraft für zwei.


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