Kennen Sie das Gefühl des wütenden Gärtnerns? Ich kann es nur empfehlen. Da geht echt etwas weiter in einem Garten, der sich endlich dem Frühling entgegen recken möchte.
Normalerweise bin ich ziemlich ausbalanciert, tue ja auch viel dafür, dass sich mein Gefühlshaushalt stabil, mein Körper genährt und mein Geist leicht ist. Und entgegen des ersten Eindrucks ist das manchmal ganz schön viel Arbeit. Denn die Luftigkeit eines Schmetterlings muss man sich erkämpfen. Eine gewisse Naturbegabung kann helfen, doch die letzten Meter kann man eben nicht fliegen. Da muss ein Schritt vor den anderen gesetzt werden, achtsam und seeeeeeeeehr reflektiert.
Achtsamkeit verdient auch der Garten, dazu habe ich ihn ja. Natürlich versuche ich auch, aus den Früchten, die er gebiert, etwas Produktives zu machen. Aber das Wichtigste ist für mich, dass er mich erdet. In diesem Sinne habe ich vermutlich einen therapeutischen Garten für meine Stimmungen und Befindlichkeiten. Die besten Augenblicke sind die, in denen ich für meinen kleinen Nachbarn wieder einmal den Weg durch seinen Wald freischlage, damit die scharfen Kanten des Schilfs seine Hände heil lassen beim Durchwühlen der Büsche. Das war kürzlich wieder der Fall, und neben der Tatsache, dass ich dem Siebenjährigen eine Freude machen konnte, habe ich auch gemerkt, wie wohltuend der Umgang mit einer Schere sein kann.
Schnippschnapp wollte ich auch am liebsten mit meiner Wut machen, die mich ausgerechnet an meinem Selfcaring-Tag befallen hatte. Doch jede Frau, die dieses Gefühl in sich zulässt – kommt ja auch nicht jeden Tag vor – weiß: So leicht geht schnippschnapp eben dann doch nicht. Ich kenne ganz wenige Menschen, die das können, die meisten davon sind Männer. Die können von heute auf morgen zum Rauchen aufhören, ihr Leben ändern oder ein Haus verkaufen, um einer Liebschaft zu entgehen. Schnippschnapp eben. Ich hänge an meiner Wut, wenn ich sie denn einmal zulasse. Das wird meine Therapeutin freuen, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Sie ist nämlich eine große Freundin der weiblichen Wut, und als ich sie noch regelmäßig sah, war sie sehr oft an meiner Stelle wütend, weil ich einfach keinen Zugang zu diesem Gefühl hatte. Inzwischen habe ich ihn.
Am vergangenen Sonntag also hat die ganze intellektuelle Strapaze in puncto Wut nichts geholfen. Da traf es sich gut, dass die Sonne vom frühlingshaft-blassblauen Himmel lachte und mich in den Garten lockte. Die Schere vom Schilfschnitt lag noch bereit und rief „Schnippschnapp“. Dieser Einladung konnte ich nicht widerstehen. Doch da ich auch bei der Gartenarbeit ziemlich systematisch vorgehe, wollte ich zuerst das festgeclusterte Laub von den Beeten räumen. Der entsprechende Besen kratzte allerdings nur an der Oberfläche, was zumindest meine Steinspirale und einen fast vermoderten Wischfetzen zutage förderte, von dem ich mir nicht erklären konnte, wie er zwischen die Blätter von Ahorn und Birke geraten war. Und die Steinspirale hatte ich auch schon fast vergessen ob der Vorkommnisse der vergangenen Monate. Und während ich jeden einzelnen Stein von der modrigen Bedeckung befreite, kam ich wieder mit meiner Wut in Kontakt. Wie hatte ich vergessen wollen, was mir in den vergangenen Jahren so wichtig geworden war? Was konnte denn überhaupt wichtiger sein als das, was uns zu uns selbst führt, was uns mit uns selbst in Kontakt bringt? Dann holte ich den Rechen.
Da ging was weiter in den Beeten, denn er nahm alles mit, was dort nicht hingehörte. Er legte den Hirschzungenfarn frei, das Stück Erde, wo der Phlox im Sommer blüht und die frühen Iris schon ihre Stengel in Richtung Sonne schicken. Das Laub war schwer, weil angesogen und durch die beginnende Verwesung aneinander gekleistert. Und ebenso schwer war dann auch die Gartentonne, die ich hinter mir durch den Garten schleppte. An Widerständen wie diesen lässt sich Wut auch gut einflechten. Dann machte ich auch an anderer Stelle schnippschnapp mit weiteren Schilfausläufern – sie sind ja Wucherer und nehmen Wutschnitte nicht übel. Vertrockneter Farn eignet sich auch gut gegen Wut, denn bringen Sie den einmal aus der Erde, wenn er beschlossen hat, dort noch mehr Wurzeln zu schlagen. Schnippschnapp hörte auch der Efeu, das Immergrün und sonstige Sträucher, die unbändig wuchsen, als gebe es kein Morgen. Für das Ende meiner Runde – und das Beste kommt ja bekanntlich am Schluss – hatte ich mir die Brombeeren aufbewahrt. Denn wenn nichts mehr hilft, dann der Kampf gegen die dornigen Blätter, in die man bestimmt dann richtig reingreift, wenn man besonders aufpasst.
Ich liebe meinen Garten. Er macht sämtliche Stimmungen mit, die ich so ausbrüte. Und er nimmt mir keine davon übel. Was sich wiederum auf meine Stimmungen auswirkt, denn nach einer tour de force wie am vergangenen Sonntag sehe ich, wie produktiv Wut eigentlich sein kann, wenn man sie in die richtigen Bahnen lenkt. Dass sie eine Kraft ist, die auf Veränderung ausgerichtet ist, und Veränderung ist ja stets eine zum Besseren. Egal, aus welcher Befindlichkeit heraus. Es war ein guter Selfcaring-Tag.
Die gesprochene Version dieses Textes finden Sie auf www.voll50.com/category/podcast
Schreibe einen Kommentar